durch ihren Namen reizet, die mir nur denn gefäl- let, wenn sie neben andern stehet. Der Anblick, das innere schnelle Gefühl eines poetischen Bildes muß das Herz entwenden: wer blos durch Verglei- chungen, durch Parallelen Empfindung bekommt, dem schadets nicht, wenn er keine habe.
Das schönste Bild eines Autors muß mit den Worten, an der Stelle, das schönste seyn, da ers saget, da es stehet: eine Blume, die in ihrem Erd- reiche die natürlichste, die schönste ist. Man wurzle sie aus, man verpflanze sie unter zehn andre Gattun- gen ihres Geschlechts, aber nicht ihrer Art, ihres Him- melstrichs, ihres Bodens, und man hat ihren Platz, ihre Natur, ihre beste Schönheit genommen. Je- de Gattung der Poesie, jeder eigenthümliche Zweck giebt auch dem Bilde Geist und Leben, nicht blos Colorit und Gewand: man reiße es aus seinem Or- te, aus seiner Verbindung, aus seiner Localwirkung, und es ist ein Schatten. Jmmer ists ein Verderb der Dichtkunst gewesen, aus ihr Anthologien zu samm- len, und fast immer ein kalter Gebrauch des Dich- ters, ihm einzelne Federn zu entrupfen, sie mit an- dern zusammen zu legen: da wird, nach der alten Fabel, die weißeste Schwanfeder von der struppich- ten Adlersfeder verzehrt.
Jch könnte zehn gegen ein Beispiel meines Au- tors über diesen Parallelengeschmack anführen; denn es ist ja sein allerliebster Geschmack. Und für mich
immer
Kritiſche Waͤlder.
durch ihren Namen reizet, die mir nur denn gefaͤl- let, wenn ſie neben andern ſtehet. Der Anblick, das innere ſchnelle Gefuͤhl eines poetiſchen Bildes muß das Herz entwenden: wer blos durch Verglei- chungen, durch Parallelen Empfindung bekommt, dem ſchadets nicht, wenn er keine habe.
Das ſchoͤnſte Bild eines Autors muß mit den Worten, an der Stelle, das ſchoͤnſte ſeyn, da ers ſaget, da es ſtehet: eine Blume, die in ihrem Erd- reiche die natuͤrlichſte, die ſchoͤnſte iſt. Man wurzle ſie aus, man verpflanze ſie unter zehn andre Gattun- gen ihres Geſchlechts, aber nicht ihrer Art, ihres Him- melſtrichs, ihres Bodens, und man hat ihren Platz, ihre Natur, ihre beſte Schoͤnheit genommen. Je- de Gattung der Poeſie, jeder eigenthuͤmliche Zweck giebt auch dem Bilde Geiſt und Leben, nicht blos Colorit und Gewand: man reiße es aus ſeinem Or- te, aus ſeiner Verbindung, aus ſeiner Localwirkung, und es iſt ein Schatten. Jmmer iſts ein Verderb der Dichtkunſt geweſen, aus ihr Anthologien zu ſamm- len, und faſt immer ein kalter Gebrauch des Dich- ters, ihm einzelne Federn zu entrupfen, ſie mit an- dern zuſammen zu legen: da wird, nach der alten Fabel, die weißeſte Schwanfeder von der ſtruppich- ten Adlersfeder verzehrt.
Jch koͤnnte zehn gegen ein Beiſpiel meines Au- tors uͤber dieſen Parallelengeſchmack anfuͤhren; denn es iſt ja ſein allerliebſter Geſchmack. Und fuͤr mich
immer
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Kritiſche Waͤlder.
durch ihren Namen reizet, die mir nur denn gefaͤl-
let, wenn ſie neben andern ſtehet. Der Anblick,
das innere ſchnelle Gefuͤhl eines poetiſchen Bildes
muß das Herz entwenden: wer blos durch Verglei-
chungen, durch Parallelen Empfindung bekommt,
dem ſchadets nicht, wenn er keine habe.
Das ſchoͤnſte Bild eines Autors muß mit den
Worten, an der Stelle, das ſchoͤnſte ſeyn, da ers
ſaget, da es ſtehet: eine Blume, die in ihrem Erd-
reiche die natuͤrlichſte, die ſchoͤnſte iſt. Man wurzle
ſie aus, man verpflanze ſie unter zehn andre Gattun-
gen ihres Geſchlechts, aber nicht ihrer Art, ihres Him-
melſtrichs, ihres Bodens, und man hat ihren Platz,
ihre Natur, ihre beſte Schoͤnheit genommen. Je-
de Gattung der Poeſie, jeder eigenthuͤmliche Zweck
giebt auch dem Bilde Geiſt und Leben, nicht blos
Colorit und Gewand: man reiße es aus ſeinem Or-
te, aus ſeiner Verbindung, aus ſeiner Localwirkung,
und es iſt ein Schatten. Jmmer iſts ein Verderb
der Dichtkunſt geweſen, aus ihr Anthologien zu ſamm-
len, und faſt immer ein kalter Gebrauch des Dich-
ters, ihm einzelne Federn zu entrupfen, ſie mit an-
dern zuſammen zu legen: da wird, nach der alten
Fabel, die weißeſte Schwanfeder von der ſtruppich-
ten Adlersfeder verzehrt.
Jch koͤnnte zehn gegen ein Beiſpiel meines Au-
tors uͤber dieſen Parallelengeſchmack anfuͤhren; denn
es iſt ja ſein allerliebſter Geſchmack. Und fuͤr mich
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Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische02_1769/250>, abgerufen am 16.07.2024.
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