Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769.Kritische Wälder. 1. Abrupta carminum initia. Wie? wenn es eines a) p. 130.
Kritiſche Waͤlder. 1. Abrupta carminum initia. Wie? wenn es eines a) p. 130.
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Kritiſche Waͤlder.
1. Abrupta carminum initia. Wie? wenn es
hier Geſetz der horaziſchen Ode wuͤrde a): arripit
lyram poeta, nec quaerens verba, quibus ordia-
tur carmen, non ſollicitns, quam formulam pri-
mo loco ponat, quodcunque ii, quibus excitatur,
motus verbum ſuggerunt, eloquitur — welcher
unfoͤrmliche Parenthyrſus wuͤrde unſere Horaze be-
zeichnen. Nur von wenigen horaziſchen Oden kann
man eigentlich dieſe ploͤtzliche Abgebrochenheit des
Anfanges ſagen, und bei jeder, wo ſie ſich findet,
hat ſie eine Art von Beſonderheit in ihrer Urſache.
Das ſo oft mißbrauchte: quo me, Bacche, rapis? iſt
kein allgemeines Geſetz, es iſt ein einzelnes, und darf
ich ſagen, ſonderbares Beiſpiel. Der Poet dichtet
die ganze Ode durch eine foͤrmliche Trunkenheit:
voll ſeines Bacchus in Hoͤlen und Waͤlder getrie-
ben, weiß er ſelbſt nicht, wie ihm geſchieht: ſein
Geiſt ſchwebt umher, oder vielmehr wird hinwegge-
riſſen, nichts Großes, nichts Sterbliches zu ſingen
und — er ſinget Auguſt. Schoͤne Lobeseinklei-
dung, wie Plato ſeinen Sokrates vom trunkenen Al-
cibiades loben laͤßt: ſo kann hier der trunkene Flac-
cus dithyrambiſiren; es ſtimmt mit dem ganzen
Tone der Ode. Jn Abſicht auf dieſen iſt der An-
fang nicht abgebrochen, weil alles in der Ode abge-
brochen, hingeworfen, trunken iſt: ja, die ganze
Ode, kurz und buͤndig, iſt ein abgebrochnes Stuͤck
eines
a) p. 130.
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