Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769.Kritische Wälder. Harmonie des ganzen lyrischen Gesanges; denn wasist Ton, Harmonie des Ganzen? Die Empfindung davon läßt sich dem Ohre keines Menschen geben. So muß ich denn leider! umgekehrt sagen, daß der Ton des Ernstes schon exegetisch Widersprüche in die Ode bringe: daß es ja nichtswürdig von Horaz wäre, von den olympischen Siegern nichts zu sagen, als daß sie Staub sammlen, und mit dem Ra- de umlenken; daß unter den Römern die edlen, göttergleichen Spiele sich eigentlich nicht so ge- funden, wie bei den Griechen; daß das Beiwort wandelbare Römer alsdenn dem Sinne Horaz selbst entgegen, daß es magrer Gegensatz zwischen proprio horreo, und Libycis areis sey; daß das wahre ethos in dem patrios agros, die beste Kraft des numquam dimoveas verlohren gehe: daß der Wiederspruch in dem metuens, und mox reficit rates frostig werde: daß das nec partem solido de die, aller klotzischen gelehrten Erläuterung ungeach- tet, kein wahrer Gegensatz mehr bleibe: daß ich als- denn nicht sehe, warum vom Kriege eben der lituo tubae permistus sonitus reizen, warum die Kriege hier eben matribus detestata heißen müssen: warum eben das marsische Schwein eben vor Horaz zu ste- hen kommt: warum er eben solche Armseligkeiten, als Lohn der Dichtkunst, anführen; warum er Göt- ter und Volk, und Sterne, einen armseligen Lohn! dreimal sagen; warum er eben die Nichts- würdig-
Kritiſche Waͤlder. Harmonie des ganzen lyriſchen Geſanges; denn wasiſt Ton, Harmonie des Ganzen? Die Empfindung davon laͤßt ſich dem Ohre keines Menſchen geben. So muß ich denn leider! umgekehrt ſagen, daß der Ton des Ernſtes ſchon exegetiſch Widerſpruͤche in die Ode bringe: daß es ja nichtswuͤrdig von Horaz waͤre, von den olympiſchen Siegern nichts zu ſagen, als daß ſie Staub ſammlen, und mit dem Ra- de umlenken; daß unter den Roͤmern die edlen, goͤttergleichen Spiele ſich eigentlich nicht ſo ge- funden, wie bei den Griechen; daß das Beiwort wandelbare Roͤmer alsdenn dem Sinne Horaz ſelbſt entgegen, daß es magrer Gegenſatz zwiſchen proprio horreo, und Libycis areis ſey; daß das wahre ηϑος in dem patrios agros, die beſte Kraft des numquam dimoveas verlohren gehe: daß der Wiederſpruch in dem metuens, und mox reficit rates froſtig werde: daß das nec partem ſolido de die, aller klotziſchen gelehrten Erlaͤuterung ungeach- tet, kein wahrer Gegenſatz mehr bleibe: daß ich als- denn nicht ſehe, warum vom Kriege eben der lituo tubae permiſtus ſonitus reizen, warum die Kriege hier eben matribus deteſtata heißen muͤſſen: warum eben das marſiſche Schwein eben vor Horaz zu ſte- hen kommt: warum er eben ſolche Armſeligkeiten, als Lohn der Dichtkunſt, anfuͤhren; warum er Goͤt- ter und Volk, und Sterne, einen armſeligen Lohn! dreimal ſagen; warum er eben die Nichts- wuͤrdig-
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0224" n="218"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Kritiſche Waͤlder.</hi></fw><lb/> Harmonie des ganzen lyriſchen Geſanges; denn was<lb/> iſt Ton, Harmonie des Ganzen? Die Empfindung<lb/> davon laͤßt ſich dem Ohre keines Menſchen geben.<lb/> So muß ich denn leider! umgekehrt ſagen, daß der<lb/> Ton des Ernſtes ſchon exegetiſch Widerſpruͤche in<lb/> die Ode bringe: daß es ja nichtswuͤrdig von Horaz<lb/> waͤre, von den olympiſchen Siegern nichts zu ſagen,<lb/> als daß ſie Staub ſammlen, und mit dem Ra-<lb/> de umlenken; daß unter den Roͤmern die edlen,<lb/> goͤttergleichen Spiele ſich eigentlich nicht ſo ge-<lb/> funden, wie bei den Griechen; daß das Beiwort<lb/> wandelbare Roͤmer alsdenn dem Sinne Horaz<lb/> ſelbſt entgegen, daß es magrer Gegenſatz zwiſchen<lb/><hi rendition="#aq">proprio horreo,</hi> und <hi rendition="#aq">Libycis areis</hi> ſey; daß das<lb/> wahre ηϑος in dem <hi rendition="#aq">patrios agros,</hi> die beſte Kraft<lb/> des <hi rendition="#aq">numquam dimoveas</hi> verlohren gehe: daß der<lb/> Wiederſpruch in dem <hi rendition="#aq">metuens,</hi> und <hi rendition="#aq">mox reficit<lb/> rates</hi> froſtig werde: daß das <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">nec partem ſolido</hi> de<lb/> die,</hi> aller klotziſchen gelehrten Erlaͤuterung ungeach-<lb/> tet, kein wahrer Gegenſatz mehr bleibe: daß ich als-<lb/> denn nicht ſehe, warum vom Kriege eben der <hi rendition="#aq">lituo<lb/> tubae permiſtus ſonitus</hi> reizen, warum die Kriege<lb/> hier eben <hi rendition="#aq">matribus deteſtata</hi> heißen muͤſſen: warum<lb/> eben das marſiſche Schwein eben vor Horaz zu ſte-<lb/> hen kommt: warum er eben ſolche Armſeligkeiten,<lb/> als Lohn der Dichtkunſt, anfuͤhren; warum er Goͤt-<lb/> ter und Volk, und Sterne, einen armſeligen<lb/> Lohn! dreimal ſagen; warum er eben die Nichts-<lb/> <fw place="bottom" type="catch">wuͤrdig-</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [218/0224]
Kritiſche Waͤlder.
Harmonie des ganzen lyriſchen Geſanges; denn was
iſt Ton, Harmonie des Ganzen? Die Empfindung
davon laͤßt ſich dem Ohre keines Menſchen geben.
So muß ich denn leider! umgekehrt ſagen, daß der
Ton des Ernſtes ſchon exegetiſch Widerſpruͤche in
die Ode bringe: daß es ja nichtswuͤrdig von Horaz
waͤre, von den olympiſchen Siegern nichts zu ſagen,
als daß ſie Staub ſammlen, und mit dem Ra-
de umlenken; daß unter den Roͤmern die edlen,
goͤttergleichen Spiele ſich eigentlich nicht ſo ge-
funden, wie bei den Griechen; daß das Beiwort
wandelbare Roͤmer alsdenn dem Sinne Horaz
ſelbſt entgegen, daß es magrer Gegenſatz zwiſchen
proprio horreo, und Libycis areis ſey; daß das
wahre ηϑος in dem patrios agros, die beſte Kraft
des numquam dimoveas verlohren gehe: daß der
Wiederſpruch in dem metuens, und mox reficit
rates froſtig werde: daß das nec partem ſolido de
die, aller klotziſchen gelehrten Erlaͤuterung ungeach-
tet, kein wahrer Gegenſatz mehr bleibe: daß ich als-
denn nicht ſehe, warum vom Kriege eben der lituo
tubae permiſtus ſonitus reizen, warum die Kriege
hier eben matribus deteſtata heißen muͤſſen: warum
eben das marſiſche Schwein eben vor Horaz zu ſte-
hen kommt: warum er eben ſolche Armſeligkeiten,
als Lohn der Dichtkunſt, anfuͤhren; warum er Goͤt-
ter und Volk, und Sterne, einen armſeligen
Lohn! dreimal ſagen; warum er eben die Nichts-
wuͤrdig-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |