Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769.Zweites Wäldchen. des Pollio, und das schamhafte Jungfrauengesicht,den züchtigen Virgil, vor, wie er nach ihm schielet; wie er sein Auge an ihm weidet, ihn lobet, ihm lieb- koset. Pollio macht die Sache zum Spaße: sein Freund soll erst ein Coridon werden; soll erst um Alexis werben. Virgil wird Coridon: er verwan- delt sich in einen poetischen Schäfer: ahmt Theokri- ten nach, und setzt sich nach Sicilien mit seinem Ale- xis. Da klaget er den Wäldern ungefühlte Leiden: da ächzt er über seine unempfundne Verzweiflung: da seufzt er über seine Verachtung, über die Sprö- digkeit seines Lieblinges -- da wird seine zweite Ekloge. Ein seines Lobgedicht auf Alexis! eine schöne poetische Liebeswerbung -- werth eines schö- nen Knaben, werth eines Alexis. Virgil hat ihn sich ersungen: da steht er nun, wie Martial dichte- te, vor dem Tische seines neuen Herrn, ein irdischer Ganymedes, und gießt mit weißer Marmorhand Falernerwein: da kostet er mit Rosenlippen den Trank, den ein Jupiter selbst beneiden könnte. Da kann der im Schauen gesättigte Dichter wohl seine alte gesunde Landgalathee, seine verbrannte Thestylis vergessen: der feine Wohllüstling, der enthaltsame Virgil, hat bessere Freuden, die ihm -- sein lu- dicrum Boukolikon, sein feines Lobgedicht brachte. So sprach das Alterthum vom Virgil: aber die a) Opusc. var. arg. p. 249.
Zweites Waͤldchen. des Pollio, und das ſchamhafte Jungfrauengeſicht,den zuͤchtigen Virgil, vor, wie er nach ihm ſchielet; wie er ſein Auge an ihm weidet, ihn lobet, ihm lieb- koſet. Pollio macht die Sache zum Spaße: ſein Freund ſoll erſt ein Coridon werden; ſoll erſt um Alexis werben. Virgil wird Coridon: er verwan- delt ſich in einen poetiſchen Schaͤfer: ahmt Theokri- ten nach, und ſetzt ſich nach Sicilien mit ſeinem Ale- xis. Da klaget er den Waͤldern ungefuͤhlte Leiden: da aͤchzt er uͤber ſeine unempfundne Verzweiflung: da ſeufzt er uͤber ſeine Verachtung, uͤber die Sproͤ- digkeit ſeines Lieblinges — da wird ſeine zweite Ekloge. Ein ſeines Lobgedicht auf Alexis! eine ſchoͤne poetiſche Liebeswerbung — werth eines ſchoͤ- nen Knaben, werth eines Alexis. Virgil hat ihn ſich erſungen: da ſteht er nun, wie Martial dichte- te, vor dem Tiſche ſeines neuen Herrn, ein irdiſcher Ganymedes, und gießt mit weißer Marmorhand Falernerwein: da koſtet er mit Roſenlippen den Trank, den ein Jupiter ſelbſt beneiden koͤnnte. Da kann der im Schauen geſaͤttigte Dichter wohl ſeine alte geſunde Landgalathee, ſeine verbrannte Theſtylis vergeſſen: der feine Wohlluͤſtling, der enthaltſame Virgil, hat beſſere Freuden, die ihm — ſein lu- dicrum Βουκολικον, ſein feines Lobgedicht brachte. So ſprach das Alterthum vom Virgil: aber die a) Opuſc. var. arg. p. 249.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0197" n="191"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Zweites Waͤldchen.</hi></fw><lb/> des Pollio, und das ſchamhafte Jungfrauengeſicht,<lb/> den zuͤchtigen Virgil, vor, wie er nach ihm ſchielet;<lb/> wie er ſein Auge an ihm weidet, ihn lobet, ihm lieb-<lb/> koſet. Pollio macht die Sache zum Spaße: ſein<lb/> Freund ſoll erſt ein Coridon werden; ſoll erſt um<lb/> Alexis werben. Virgil wird Coridon: er verwan-<lb/> delt ſich in einen poetiſchen Schaͤfer: ahmt Theokri-<lb/> ten nach, und ſetzt ſich nach Sicilien mit ſeinem Ale-<lb/> xis. Da klaget er den Waͤldern ungefuͤhlte Leiden:<lb/> da aͤchzt er uͤber ſeine unempfundne Verzweiflung:<lb/> da ſeufzt er uͤber ſeine Verachtung, uͤber die Sproͤ-<lb/> digkeit ſeines Lieblinges — da wird ſeine zweite<lb/> Ekloge. Ein ſeines Lobgedicht auf Alexis! eine<lb/> ſchoͤne poetiſche Liebeswerbung — werth eines ſchoͤ-<lb/> nen Knaben, werth eines Alexis. Virgil hat ihn<lb/> ſich erſungen: da ſteht er nun, wie Martial dichte-<lb/> te, vor dem Tiſche ſeines neuen Herrn, ein irdiſcher<lb/> Ganymedes, und gießt mit weißer Marmorhand<lb/> Falernerwein: da koſtet er mit Roſenlippen den<lb/> Trank, den ein Jupiter ſelbſt beneiden koͤnnte. Da<lb/> kann der im Schauen geſaͤttigte Dichter wohl ſeine<lb/> alte geſunde Landgalathee, ſeine verbrannte Theſtylis<lb/> vergeſſen: der feine Wohlluͤſtling, der enthaltſame<lb/> Virgil, hat beſſere Freuden, die ihm — ſein <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">lu-<lb/> dicrum</hi></hi> Βουκολικον, ſein <hi rendition="#fr">feines Lobgedicht</hi> brachte.</p><lb/> <p>So ſprach das Alterthum vom Virgil: aber<lb/> von jeher hat es auch nicht an <hi rendition="#aq">Klotziis</hi> <note place="foot" n="a)"><hi rendition="#aq">Opuſc. var. arg. p.</hi> 249.</note> gefehlt,<lb/> <fw place="bottom" type="catch">die</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [191/0197]
Zweites Waͤldchen.
des Pollio, und das ſchamhafte Jungfrauengeſicht,
den zuͤchtigen Virgil, vor, wie er nach ihm ſchielet;
wie er ſein Auge an ihm weidet, ihn lobet, ihm lieb-
koſet. Pollio macht die Sache zum Spaße: ſein
Freund ſoll erſt ein Coridon werden; ſoll erſt um
Alexis werben. Virgil wird Coridon: er verwan-
delt ſich in einen poetiſchen Schaͤfer: ahmt Theokri-
ten nach, und ſetzt ſich nach Sicilien mit ſeinem Ale-
xis. Da klaget er den Waͤldern ungefuͤhlte Leiden:
da aͤchzt er uͤber ſeine unempfundne Verzweiflung:
da ſeufzt er uͤber ſeine Verachtung, uͤber die Sproͤ-
digkeit ſeines Lieblinges — da wird ſeine zweite
Ekloge. Ein ſeines Lobgedicht auf Alexis! eine
ſchoͤne poetiſche Liebeswerbung — werth eines ſchoͤ-
nen Knaben, werth eines Alexis. Virgil hat ihn
ſich erſungen: da ſteht er nun, wie Martial dichte-
te, vor dem Tiſche ſeines neuen Herrn, ein irdiſcher
Ganymedes, und gießt mit weißer Marmorhand
Falernerwein: da koſtet er mit Roſenlippen den
Trank, den ein Jupiter ſelbſt beneiden koͤnnte. Da
kann der im Schauen geſaͤttigte Dichter wohl ſeine
alte geſunde Landgalathee, ſeine verbrannte Theſtylis
vergeſſen: der feine Wohlluͤſtling, der enthaltſame
Virgil, hat beſſere Freuden, die ihm — ſein lu-
dicrum Βουκολικον, ſein feines Lobgedicht brachte.
So ſprach das Alterthum vom Virgil: aber
von jeher hat es auch nicht an Klotziis a) gefehlt,
die
a) Opuſc. var. arg. p. 249.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |