Auch hier hielten die Griechen eine gewisse schöne Mitte zwischen Morgenländern und Römern- Die asiatische Hitze in etwas abgekühlt durch die eu- ropäische Mäßigkeit, bestimmte eben den mittlern Ton einer warmen Liebe, einer sanften Wollust, der Materien dieser Art bei ihnen durchgängig zu cha- rakterisiren scheint. Vielleicht hat keine Sprache der Welt ein so süßes Wörterbuch der Liebe, keine Nation eine Menge so einfältig unschuldiger Liebesge- mälde, kein Zeitpunkt der Politur vielleicht die Ur- banität auf den simpeln und feinen Weltgenuß zu- rück geführt, als der asteis mos der Griechen. Die Liebesschilderungen ihrer Poeten, die Menschheitsge- setze ihrer besten Philosophen, die historischen Ge- mälde ihrer Lebensart in den besten Zeiten, sind so sehr in den Schranken der schönen, unschuldig ein- fältigen Natur, als sie von unsrer heutigen Galan- terie und Politesse, und Hofartigkeit entfernt seyn mögen. Jch wünsche dem Schriftsteller a) griechi- sches Gefühl, der über die Schamhaftigkeit Ho- mers schreiben will: so wie ichs einem andern, sonst feinen und schätzbaren Kenner b) gewünscht hätte, da er von den Sitten griechischer Dichter zu schrei- ben unternahm.
Jch weiß, daß ich in Beispielen dieser Art nicht blos die galanten Herren, sondern auch manche
fromme
a)Harles de verecundia Homer. libell. promissus.
b) Ueber die Sitten der griechischen Dichter Th. I.
Kritiſche Waͤlder.
Auch hier hielten die Griechen eine gewiſſe ſchoͤne Mitte zwiſchen Morgenlaͤndern und Roͤmern- Die aſiatiſche Hitze in etwas abgekuͤhlt durch die eu- ropaͤiſche Maͤßigkeit, beſtimmte eben den mittlern Ton einer warmen Liebe, einer ſanften Wolluſt, der Materien dieſer Art bei ihnen durchgaͤngig zu cha- rakteriſiren ſcheint. Vielleicht hat keine Sprache der Welt ein ſo ſuͤßes Woͤrterbuch der Liebe, keine Nation eine Menge ſo einfaͤltig unſchuldiger Liebesge- maͤlde, kein Zeitpunkt der Politur vielleicht die Ur- banitaͤt auf den ſimpeln und feinen Weltgenuß zu- ruͤck gefuͤhrt, als der αστεισ μος der Griechen. Die Liebesſchilderungen ihrer Poeten, die Menſchheitsge- ſetze ihrer beſten Philoſophen, die hiſtoriſchen Ge- maͤlde ihrer Lebensart in den beſten Zeiten, ſind ſo ſehr in den Schranken der ſchoͤnen, unſchuldig ein- faͤltigen Natur, als ſie von unſrer heutigen Galan- terie und Politeſſe, und Hofartigkeit entfernt ſeyn moͤgen. Jch wuͤnſche dem Schriftſteller a) griechi- ſches Gefuͤhl, der uͤber die Schamhaftigkeit Ho- mers ſchreiben will: ſo wie ichs einem andern, ſonſt feinen und ſchaͤtzbaren Kenner b) gewuͤnſcht haͤtte, da er von den Sitten griechiſcher Dichter zu ſchrei- ben unternahm.
Jch weiß, daß ich in Beiſpielen dieſer Art nicht blos die galanten Herren, ſondern auch manche
fromme
a)Harles de verecundia Homer. libell. promiſſus.
b) Ueber die Sitten der griechiſchen Dichter Th. I.
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Kritiſche Waͤlder.
Auch hier hielten die Griechen eine gewiſſe
ſchoͤne Mitte zwiſchen Morgenlaͤndern und Roͤmern-
Die aſiatiſche Hitze in etwas abgekuͤhlt durch die eu-
ropaͤiſche Maͤßigkeit, beſtimmte eben den mittlern
Ton einer warmen Liebe, einer ſanften Wolluſt, der
Materien dieſer Art bei ihnen durchgaͤngig zu cha-
rakteriſiren ſcheint. Vielleicht hat keine Sprache
der Welt ein ſo ſuͤßes Woͤrterbuch der Liebe, keine
Nation eine Menge ſo einfaͤltig unſchuldiger Liebesge-
maͤlde, kein Zeitpunkt der Politur vielleicht die Ur-
banitaͤt auf den ſimpeln und feinen Weltgenuß zu-
ruͤck gefuͤhrt, als der αστεισ μος der Griechen. Die
Liebesſchilderungen ihrer Poeten, die Menſchheitsge-
ſetze ihrer beſten Philoſophen, die hiſtoriſchen Ge-
maͤlde ihrer Lebensart in den beſten Zeiten, ſind ſo
ſehr in den Schranken der ſchoͤnen, unſchuldig ein-
faͤltigen Natur, als ſie von unſrer heutigen Galan-
terie und Politeſſe, und Hofartigkeit entfernt ſeyn
moͤgen. Jch wuͤnſche dem Schriftſteller a) griechi-
ſches Gefuͤhl, der uͤber die Schamhaftigkeit Ho-
mers ſchreiben will: ſo wie ichs einem andern, ſonſt
feinen und ſchaͤtzbaren Kenner b) gewuͤnſcht haͤtte,
da er von den Sitten griechiſcher Dichter zu ſchrei-
ben unternahm.
Jch weiß, daß ich in Beiſpielen dieſer Art nicht
blos die galanten Herren, ſondern auch manche
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a) Harles de verecundia Homer. libell. promiſſus.
b) Ueber die Sitten der griechiſchen Dichter Th. I.
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Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische02_1769/166>, abgerufen am 16.02.2025.
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