Quintilian selbst redet in der angezogenen Stelle, gegen die Sucht, kakophata zu finden, offenbar. Er nennet sie ein Verdrehen, ein Verderben der Rede: er setzt, wenn die üppigen Römer seiner Zeit, das was ein alter Schriftsteller sancte et religiose gesagt hatte, auf einen unehrbaren Sinn zogen, sein spottendes si diis placet! dazu: er wirft die Schuld auf die Lesenden solcher Art, daß sie die Rede verdürben, mißbrauchten; daß bei solcher schamlosen Schamhaftigkeit endlich kein ehrbares Wort mehr ehrbar seyn werde: er hält es für ein verderbtes Zeitalter, dem er blos aus Noth nach- geben müsse, "quatenus verba honesta moribus per- "didimus et evincentibus vitiis cedendum est. " Er hat also wahrlich nicht daran gedacht, daß hin- ter sein scheltendes: quod si recipias, nil loqui tu- tum est! ein ehrbarer Klotz des achtzehnten Jahr- hunderts die frommen Seufzer: tantum fuit in Romanis verecundiae studium! tam diligenter ca- stis auribus pepercerunt! im Ernste nachseufzen, und solche Verecundia mit allem Ernste zum ersten Stücke der virgilianischen Keuschheit machen werde. Keusche Römerohren! artiges Jungfernlob auf Virgil! Das wenigste, das Herr Klotz gestehen wird, ist, daß er Quintilian nicht verstanden, und das wahre Wesen der Schamhaftigkeit wohl nicht überdacht habe.
3. Von
Kritiſche Waͤlder.
Quintilian ſelbſt redet in der angezogenen Stelle, gegen die Sucht, κακοφατα zu finden, offenbar. Er nennet ſie ein Verdrehen, ein Verderben der Rede: er ſetzt, wenn die uͤppigen Roͤmer ſeiner Zeit, das was ein alter Schriftſteller ſancte et religioſe geſagt hatte, auf einen unehrbaren Sinn zogen, ſein ſpottendes ſi diis placet! dazu: er wirft die Schuld auf die Leſenden ſolcher Art, daß ſie die Rede verduͤrben, mißbrauchten; daß bei ſolcher ſchamloſen Schamhaftigkeit endlich kein ehrbares Wort mehr ehrbar ſeyn werde: er haͤlt es fuͤr ein verderbtes Zeitalter, dem er blos aus Noth nach- geben muͤſſe, „quatenus verba honeſta moribus per- „didimus et evincentibus vitiis cedendum eſt. „ Er hat alſo wahrlich nicht daran gedacht, daß hin- ter ſein ſcheltendes: quod ſi recipias, nil loqui tu- tum eſt! ein ehrbarer Klotz des achtzehnten Jahr- hunderts die frommen Seufzer: tantum fuit in Romanis verecundiae ſtudium! tam diligenter ca- ſtis auribus pepercerunt! im Ernſte nachſeufzen, und ſolche Verecundia mit allem Ernſte zum erſten Stuͤcke der virgilianiſchen Keuſchheit machen werde. Keuſche Roͤmerohren! artiges Jungfernlob auf Virgil! Das wenigſte, das Herr Klotz geſtehen wird, iſt, daß er Quintilian nicht verſtanden, und das wahre Weſen der Schamhaftigkeit wohl nicht uͤberdacht habe.
3. Von
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Kritiſche Waͤlder.
Quintilian ſelbſt redet in der angezogenen Stelle,
gegen die Sucht, κακοφατα zu finden, offenbar.
Er nennet ſie ein Verdrehen, ein Verderben der
Rede: er ſetzt, wenn die uͤppigen Roͤmer ſeiner Zeit,
das was ein alter Schriftſteller ſancte et religioſe
geſagt hatte, auf einen unehrbaren Sinn zogen,
ſein ſpottendes ſi diis placet! dazu: er wirft die
Schuld auf die Leſenden ſolcher Art, daß ſie die
Rede verduͤrben, mißbrauchten; daß bei ſolcher
ſchamloſen Schamhaftigkeit endlich kein ehrbares
Wort mehr ehrbar ſeyn werde: er haͤlt es fuͤr ein
verderbtes Zeitalter, dem er blos aus Noth nach-
geben muͤſſe, „quatenus verba honeſta moribus per-
„didimus et evincentibus vitiis cedendum eſt. „
Er hat alſo wahrlich nicht daran gedacht, daß hin-
ter ſein ſcheltendes: quod ſi recipias, nil loqui tu-
tum eſt! ein ehrbarer Klotz des achtzehnten Jahr-
hunderts die frommen Seufzer: tantum fuit in
Romanis verecundiae ſtudium! tam diligenter ca-
ſtis auribus pepercerunt! im Ernſte nachſeufzen,
und ſolche Verecundia mit allem Ernſte zum erſten
Stuͤcke der virgilianiſchen Keuſchheit machen werde.
Keuſche Roͤmerohren! artiges Jungfernlob auf
Virgil! Das wenigſte, das Herr Klotz geſtehen
wird, iſt, daß er Quintilian nicht verſtanden,
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Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische02_1769/152>, abgerufen am 16.02.2025.
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