Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769.

Bild:
<< vorherige Seite

Kritische Wälder.
und Wapenbuch zu malen? -- kaum! alle, wie
mich dünkt, haben Ramlern getadelt, und keiner
den Grund berührt, der ihn verführt habe, und ein
Ramler wird nie ohne Grund irren. Will ich
ein allegorisches Lehrlied auf die Freude; so wähle
ich Ramlern -- will ich einen Freudengesang,
der Freudengöttinn gesungen, so Hagedorn!

Nur gar zu sehr ist Ramler ein Freund sol-
cher Allegorien, und zerstört dadurch oft die Har-
monie des Liedes. Gefühl ist der Ton der Lieder,
und nicht eine Charakteristik allegorischer Wesen,
die, wenn sie einmal eine todte Symbole mitten in
die Reihe lyrischer Empfindungen hinein stößt, alles,
wie Eis, erkältet. Hagedorn singt im Tone des
sanftesten Abendvergnügens seinen Morpheus, die
Wünsche, das Verlangen seines Herzens: Ram-
ler nimmt eine ägyptische Kohle, und reißt eine Hie-
roglyphe daraus. Die schwarze Hieroglyphe aber
schreckt das Chor aller Abendfreuden aus ein-
ander: -- --

Gott der Träume, Kind der Nacht,
Das mit Mohn in Händen
Gaukelnde Gestalten macht -- --

Gnug! schön zu einer Devise auf ein Bild des
Schlafes, nicht zum lyrischen Gesange, nicht zu ei-
nem hagedornschen Liede.

Soll-

Kritiſche Waͤlder.
und Wapenbuch zu malen? — kaum! alle, wie
mich duͤnkt, haben Ramlern getadelt, und keiner
den Grund beruͤhrt, der ihn verfuͤhrt habe, und ein
Ramler wird nie ohne Grund irren. Will ich
ein allegoriſches Lehrlied auf die Freude; ſo waͤhle
ich Ramlern — will ich einen Freudengeſang,
der Freudengoͤttinn geſungen, ſo Hagedorn!

Nur gar zu ſehr iſt Ramler ein Freund ſol-
cher Allegorien, und zerſtoͤrt dadurch oft die Har-
monie des Liedes. Gefuͤhl iſt der Ton der Lieder,
und nicht eine Charakteriſtik allegoriſcher Weſen,
die, wenn ſie einmal eine todte Symbole mitten in
die Reihe lyriſcher Empfindungen hinein ſtoͤßt, alles,
wie Eis, erkaͤltet. Hagedorn ſingt im Tone des
ſanfteſten Abendvergnuͤgens ſeinen Morpheus, die
Wuͤnſche, das Verlangen ſeines Herzens: Ram-
ler nimmt eine aͤgyptiſche Kohle, und reißt eine Hie-
roglyphe daraus. Die ſchwarze Hieroglyphe aber
ſchreckt das Chor aller Abendfreuden aus ein-
ander: — —

Gott der Traͤume, Kind der Nacht,
Das mit Mohn in Haͤnden
Gaukelnde Geſtalten macht — —

Gnug! ſchoͤn zu einer Deviſe auf ein Bild des
Schlafes, nicht zum lyriſchen Geſange, nicht zu ei-
nem hagedornſchen Liede.

Soll-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0122" n="116"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Kriti&#x017F;che Wa&#x0364;lder.</hi></fw><lb/>
und Wapenbuch zu malen? &#x2014; kaum! alle, wie<lb/>
mich du&#x0364;nkt, haben Ramlern getadelt, und keiner<lb/>
den Grund beru&#x0364;hrt, der ihn verfu&#x0364;hrt habe, und ein<lb/>
Ramler wird nie ohne Grund irren. Will ich<lb/>
ein allegori&#x017F;ches Lehrlied auf die Freude; &#x017F;o wa&#x0364;hle<lb/>
ich Ramlern &#x2014; will ich einen Freudenge&#x017F;ang,<lb/>
der Freudengo&#x0364;ttinn ge&#x017F;ungen, &#x017F;o Hagedorn!</p><lb/>
          <p>Nur gar zu &#x017F;ehr i&#x017F;t Ramler ein Freund &#x017F;ol-<lb/>
cher Allegorien, und zer&#x017F;to&#x0364;rt dadurch oft die Har-<lb/>
monie des Liedes. Gefu&#x0364;hl i&#x017F;t der Ton der Lieder,<lb/>
und nicht eine Charakteri&#x017F;tik allegori&#x017F;cher We&#x017F;en,<lb/>
die, wenn &#x017F;ie einmal eine todte Symbole mitten in<lb/>
die Reihe lyri&#x017F;cher Empfindungen hinein &#x017F;to&#x0364;ßt, alles,<lb/>
wie Eis, erka&#x0364;ltet. Hagedorn &#x017F;ingt im Tone des<lb/>
&#x017F;anfte&#x017F;ten Abendvergnu&#x0364;gens &#x017F;einen Morpheus, die<lb/>
Wu&#x0364;n&#x017F;che, das Verlangen &#x017F;eines Herzens: Ram-<lb/>
ler nimmt eine a&#x0364;gypti&#x017F;che Kohle, und reißt eine Hie-<lb/>
roglyphe daraus. Die &#x017F;chwarze Hieroglyphe aber<lb/>
&#x017F;chreckt das Chor aller Abendfreuden aus ein-<lb/>
ander: &#x2014; &#x2014;</p><lb/>
          <cit>
            <quote>
              <lg type="poem">
                <l>Gott der Tra&#x0364;ume, Kind der Nacht,</l><lb/>
                <l>Das mit Mohn in Ha&#x0364;nden</l><lb/>
                <l>Gaukelnde Ge&#x017F;talten macht &#x2014; &#x2014;</l>
              </lg>
            </quote>
          </cit><lb/>
          <p>Gnug! &#x017F;cho&#x0364;n zu einer Devi&#x017F;e auf ein Bild des<lb/>
Schlafes, nicht zum lyri&#x017F;chen Ge&#x017F;ange, nicht zu ei-<lb/>
nem hagedorn&#x017F;chen Liede.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Soll-</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[116/0122] Kritiſche Waͤlder. und Wapenbuch zu malen? — kaum! alle, wie mich duͤnkt, haben Ramlern getadelt, und keiner den Grund beruͤhrt, der ihn verfuͤhrt habe, und ein Ramler wird nie ohne Grund irren. Will ich ein allegoriſches Lehrlied auf die Freude; ſo waͤhle ich Ramlern — will ich einen Freudengeſang, der Freudengoͤttinn geſungen, ſo Hagedorn! Nur gar zu ſehr iſt Ramler ein Freund ſol- cher Allegorien, und zerſtoͤrt dadurch oft die Har- monie des Liedes. Gefuͤhl iſt der Ton der Lieder, und nicht eine Charakteriſtik allegoriſcher Weſen, die, wenn ſie einmal eine todte Symbole mitten in die Reihe lyriſcher Empfindungen hinein ſtoͤßt, alles, wie Eis, erkaͤltet. Hagedorn ſingt im Tone des ſanfteſten Abendvergnuͤgens ſeinen Morpheus, die Wuͤnſche, das Verlangen ſeines Herzens: Ram- ler nimmt eine aͤgyptiſche Kohle, und reißt eine Hie- roglyphe daraus. Die ſchwarze Hieroglyphe aber ſchreckt das Chor aller Abendfreuden aus ein- ander: — — Gott der Traͤume, Kind der Nacht, Das mit Mohn in Haͤnden Gaukelnde Geſtalten macht — — Gnug! ſchoͤn zu einer Deviſe auf ein Bild des Schlafes, nicht zum lyriſchen Geſange, nicht zu ei- nem hagedornſchen Liede. Soll-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische02_1769
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische02_1769/122
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische02_1769/122>, abgerufen am 22.11.2024.