Bildniß des Höchsten machen aus Autorität der Schrift.
Da dies nicht ist: so lasse ich ihr Beispiel weg, und vergleiche blos Foderung der Religion und Bedürfniß der Kunst -- und siehe! fast über- all Gegensatz. Gott der Unmeßliche -- das We- sen der Kunst im Großen und Schönen sind Schran- ken. Gott der Ewige, und siehe einen erzeugten Körper. Gott der Allmächtige, der da will und es geschieht; die Kunst kann keine Macht ausdrü- cken ohne Ankündigung einer Bewegung. Gott der Wirksame; die Kunst kennt keine Wirksamkeit ohne Bewegung: Gott der Unwandelbare, und siehe! jeder Ausdruck der Kunst wandelbar und wegeilend! Wer kann ihn fassen? wer kann ihn bilden!
Der einzige würdige Ausdruck für ihn wäre die seligste, allgnugsame Ruhe; allein auch da er- scheint er nur als der seligste, allgnugsame Mensch: und weil die menschliche Ruhe nur bei einer Feyer von transitiven Handlungen möglich ist; so ist auch alsdenn bei der gebildeten Gottheit der Begriff von Unwirksamkeit beinahe unvermeidlich: der Begriff von Allmacht, Allwissenheit, Allweisheit, Einwir- kung wird in seinen Ausdruck der Ruhe verschlun- gen, das Bild ist kein Gott mehr. Raphaels schaffender Gott steht mit gesenktem Auge, mit zei- gendem Finger:
Kann der bewundern, Er, der die Sterne gemacht hat!
Rapha-
Kritiſche Waͤlder.
Bildniß des Hoͤchſten machen aus Autoritaͤt der Schrift.
Da dies nicht iſt: ſo laſſe ich ihr Beiſpiel weg, und vergleiche blos Foderung der Religion und Beduͤrfniß der Kunſt — und ſiehe! faſt uͤber- all Gegenſatz. Gott der Unmeßliche — das We- ſen der Kunſt im Großen und Schoͤnen ſind Schran- ken. Gott der Ewige, und ſiehe einen erzeugten Koͤrper. Gott der Allmaͤchtige, der da will und es geſchieht; die Kunſt kann keine Macht ausdruͤ- cken ohne Ankuͤndigung einer Bewegung. Gott der Wirkſame; die Kunſt kennt keine Wirkſamkeit ohne Bewegung: Gott der Unwandelbare, und ſiehe! jeder Ausdruck der Kunſt wandelbar und wegeilend! Wer kann ihn faſſen? wer kann ihn bilden!
Der einzige wuͤrdige Ausdruck fuͤr ihn waͤre die ſeligſte, allgnugſame Ruhe; allein auch da er- ſcheint er nur als der ſeligſte, allgnugſame Menſch: und weil die menſchliche Ruhe nur bei einer Feyer von tranſitiven Handlungen moͤglich iſt; ſo iſt auch alsdenn bei der gebildeten Gottheit der Begriff von Unwirkſamkeit beinahe unvermeidlich: der Begriff von Allmacht, Allwiſſenheit, Allweisheit, Einwir- kung wird in ſeinen Ausdruck der Ruhe verſchlun- gen, das Bild iſt kein Gott mehr. Raphaels ſchaffender Gott ſteht mit geſenktem Auge, mit zei- gendem Finger:
Kann der bewundern, Er, der die Sterne gemacht hat!
Rapha-
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Kritiſche Waͤlder.
Bildniß des Hoͤchſten machen aus Autoritaͤt der
Schrift.
Da dies nicht iſt: ſo laſſe ich ihr Beiſpiel
weg, und vergleiche blos Foderung der Religion
und Beduͤrfniß der Kunſt — und ſiehe! faſt uͤber-
all Gegenſatz. Gott der Unmeßliche — das We-
ſen der Kunſt im Großen und Schoͤnen ſind Schran-
ken. Gott der Ewige, und ſiehe einen erzeugten
Koͤrper. Gott der Allmaͤchtige, der da will und
es geſchieht; die Kunſt kann keine Macht ausdruͤ-
cken ohne Ankuͤndigung einer Bewegung. Gott
der Wirkſame; die Kunſt kennt keine Wirkſamkeit
ohne Bewegung: Gott der Unwandelbare, und ſiehe!
jeder Ausdruck der Kunſt wandelbar und wegeilend!
Wer kann ihn faſſen? wer kann ihn bilden!
Der einzige wuͤrdige Ausdruck fuͤr ihn waͤre
die ſeligſte, allgnugſame Ruhe; allein auch da er-
ſcheint er nur als der ſeligſte, allgnugſame Menſch:
und weil die menſchliche Ruhe nur bei einer Feyer
von tranſitiven Handlungen moͤglich iſt; ſo iſt auch
alsdenn bei der gebildeten Gottheit der Begriff von
Unwirkſamkeit beinahe unvermeidlich: der Begriff
von Allmacht, Allwiſſenheit, Allweisheit, Einwir-
kung wird in ſeinen Ausdruck der Ruhe verſchlun-
gen, das Bild iſt kein Gott mehr. Raphaels
ſchaffender Gott ſteht mit geſenktem Auge, mit zei-
gendem Finger:
Kann der bewundern, Er, der die Sterne gemacht hat!
Rapha-
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Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische02_1769/104>, abgerufen am 16.02.2025.
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