Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

Zweites Wäldchen.
gar nicht. Die Propheten des alten Bundes schuf-
fen Bilder für ihre Zeit, und auch in dieser nicht
für den bildenden Künstler: nicht für den An-
blick des Schönen; sondern für poetische Seelen,
und in diesen nichts als der Religionsbegriffe hal-
ben. Der Künstler unsrer Zeit thäte also Unrecht,
wenn er sich solchenfalls damit, als mit biblischen
Vorstellungen, rechtfertigen wollte; denn der Kunst
hat die Bibel wohl keine Bildergallerie liefern
wollen.

Es bleibt also nur das Vorbild der alten Kunst
übrig, die ihren Jupiter donnerfahrend bildete --
aber ich antworte, das war auch ihr Jupiter, und
nicht unser Gott! Jener seinem Charakter nach der
Donnerer, der

Elater upertatos [fremdsprachliches Material - 1 Zeichen fehlt]rontas
akamantopodos
Zeus -- --

wie ihn Pindar nennt, erhabner, als die spätern
Dichter, die Hr. Klotz anführt. Jupiter hatte
einmal nach altem guten Herkommen die Function,
der upsi[fremdsprachliches Material - 1 Zeichen fehlt]remetes, kate[fremdsprachliches Material - 1 Zeichen fehlt]ates, fulminans zu seyn,
und wie man ihn mehr nennen will; als solcher
konnte er Pferde jagen und Rosse lenken: das war
Jodialisch. Ein solcher aber ist nicht unser Gott
dem Hauptcharakter nach, und eine solche Kunst-
vorstellung nicht göttlich. Die Kunst arbeitet für

Einen

Zweites Waͤldchen.
gar nicht. Die Propheten des alten Bundes ſchuf-
fen Bilder fuͤr ihre Zeit, und auch in dieſer nicht
fuͤr den bildenden Kuͤnſtler: nicht fuͤr den An-
blick des Schoͤnen; ſondern fuͤr poetiſche Seelen,
und in dieſen nichts als der Religionsbegriffe hal-
ben. Der Kuͤnſtler unſrer Zeit thaͤte alſo Unrecht,
wenn er ſich ſolchenfalls damit, als mit bibliſchen
Vorſtellungen, rechtfertigen wollte; denn der Kunſt
hat die Bibel wohl keine Bildergallerie liefern
wollen.

Es bleibt alſo nur das Vorbild der alten Kunſt
uͤbrig, die ihren Jupiter donnerfahrend bildete —
aber ich antworte, das war auch ihr Jupiter, und
nicht unſer Gott! Jener ſeinem Charakter nach der
Donnerer, der

Ελατὴρ ὑπέρτατος [fremdsprachliches Material – 1 Zeichen fehlt]ροντᾶς
ἀκαμαντόποδος
Ζευς — —

wie ihn Pindar nennt, erhabner, als die ſpaͤtern
Dichter, die Hr. Klotz anfuͤhrt. Jupiter hatte
einmal nach altem guten Herkommen die Function,
der υψι[fremdsprachliches Material – 1 Zeichen fehlt]ρεμετης, κατη[fremdsprachliches Material – 1 Zeichen fehlt]ατης, fulminans zu ſeyn,
und wie man ihn mehr nennen will; als ſolcher
konnte er Pferde jagen und Roſſe lenken: das war
Jodialiſch. Ein ſolcher aber iſt nicht unſer Gott
dem Hauptcharakter nach, und eine ſolche Kunſt-
vorſtellung nicht goͤttlich. Die Kunſt arbeitet fuͤr

Einen
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0101" n="95"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Zweites Wa&#x0364;ldchen.</hi></fw><lb/>
gar nicht. Die Propheten des alten Bundes &#x017F;chuf-<lb/>
fen Bilder fu&#x0364;r ihre Zeit, und auch in die&#x017F;er nicht<lb/>
fu&#x0364;r <hi rendition="#fr">den bildenden Ku&#x0364;n&#x017F;tler:</hi> nicht fu&#x0364;r den An-<lb/>
blick des Scho&#x0364;nen; &#x017F;ondern fu&#x0364;r poeti&#x017F;che Seelen,<lb/>
und in die&#x017F;en nichts als der Religionsbegriffe hal-<lb/>
ben. Der Ku&#x0364;n&#x017F;tler un&#x017F;rer Zeit tha&#x0364;te al&#x017F;o Unrecht,<lb/>
wenn er &#x017F;ich &#x017F;olchenfalls damit, als mit bibli&#x017F;chen<lb/>
Vor&#x017F;tellungen, rechtfertigen wollte; denn der Kun&#x017F;t<lb/>
hat die Bibel wohl keine Bildergallerie liefern<lb/><hi rendition="#fr">wollen.</hi></p><lb/>
          <p>Es bleibt al&#x017F;o nur das Vorbild der alten Kun&#x017F;t<lb/>
u&#x0364;brig, die ihren Jupiter donnerfahrend bildete &#x2014;<lb/>
aber ich antworte, das war auch ihr Jupiter, und<lb/>
nicht un&#x017F;er Gott! Jener &#x017F;einem Charakter nach der<lb/>
Donnerer, der</p><lb/>
          <cit>
            <quote>
              <lg type="poem">
                <l>&#x0395;&#x03BB;&#x03B1;&#x03C4;&#x1F74;&#x03C1; &#x1F51;&#x03C0;&#x1F73;&#x03C1;&#x03C4;&#x03B1;&#x03C4;&#x03BF;&#x03C2; <foreign xml:lang="ell"><gap reason="fm" unit="chars" quantity="1"/></foreign>&#x03C1;&#x03BF;&#x03BD;&#x03C4;&#x1FB6;&#x03C2;</l><lb/>
                <l>&#x1F00;&#x03BA;&#x03B1;&#x03BC;&#x03B1;&#x03BD;&#x03C4;&#x03CC;&#x03C0;&#x03BF;&#x03B4;&#x03BF;&#x03C2;</l><lb/>
                <l>&#x0396;&#x03B5;&#x03C5;&#x03C2; &#x2014; &#x2014;</l>
              </lg>
            </quote>
          </cit><lb/>
          <p>wie ihn Pindar nennt, erhabner, als die &#x017F;pa&#x0364;tern<lb/>
Dichter, die Hr. Klotz anfu&#x0364;hrt. Jupiter hatte<lb/>
einmal nach altem guten Herkommen die Function,<lb/>
der &#x03C5;&#x03C8;&#x03B9;<foreign xml:lang="ell"><gap reason="fm" unit="chars" quantity="1"/></foreign>&#x03C1;&#x03B5;&#x03BC;&#x03B5;&#x03C4;&#x03B7;&#x03C2;, &#x03BA;&#x03B1;&#x03C4;&#x03B7;<foreign xml:lang="ell"><gap reason="fm" unit="chars" quantity="1"/></foreign>&#x03B1;&#x03C4;&#x03B7;&#x03C2;, <hi rendition="#aq">fulminans</hi> zu &#x017F;eyn,<lb/>
und wie man ihn mehr nennen will; als &#x017F;olcher<lb/>
konnte er Pferde jagen und Ro&#x017F;&#x017F;e lenken: das war<lb/>
Jodiali&#x017F;ch. Ein &#x017F;olcher aber i&#x017F;t nicht un&#x017F;er Gott<lb/>
dem Hauptcharakter nach, und eine &#x017F;olche Kun&#x017F;t-<lb/>
vor&#x017F;tellung nicht go&#x0364;ttlich. Die Kun&#x017F;t arbeitet fu&#x0364;r<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Einen</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[95/0101] Zweites Waͤldchen. gar nicht. Die Propheten des alten Bundes ſchuf- fen Bilder fuͤr ihre Zeit, und auch in dieſer nicht fuͤr den bildenden Kuͤnſtler: nicht fuͤr den An- blick des Schoͤnen; ſondern fuͤr poetiſche Seelen, und in dieſen nichts als der Religionsbegriffe hal- ben. Der Kuͤnſtler unſrer Zeit thaͤte alſo Unrecht, wenn er ſich ſolchenfalls damit, als mit bibliſchen Vorſtellungen, rechtfertigen wollte; denn der Kunſt hat die Bibel wohl keine Bildergallerie liefern wollen. Es bleibt alſo nur das Vorbild der alten Kunſt uͤbrig, die ihren Jupiter donnerfahrend bildete — aber ich antworte, das war auch ihr Jupiter, und nicht unſer Gott! Jener ſeinem Charakter nach der Donnerer, der Ελατὴρ ὑπέρτατος _ροντᾶς ἀκαμαντόποδος Ζευς — — wie ihn Pindar nennt, erhabner, als die ſpaͤtern Dichter, die Hr. Klotz anfuͤhrt. Jupiter hatte einmal nach altem guten Herkommen die Function, der υψι_ρεμετης, κατη_ατης, fulminans zu ſeyn, und wie man ihn mehr nennen will; als ſolcher konnte er Pferde jagen und Roſſe lenken: das war Jodialiſch. Ein ſolcher aber iſt nicht unſer Gott dem Hauptcharakter nach, und eine ſolche Kunſt- vorſtellung nicht goͤttlich. Die Kunſt arbeitet fuͤr Einen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische02_1769
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische02_1769/101
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische02_1769/101>, abgerufen am 25.11.2024.