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Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769.

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Kritische Wälder.
mit dem Schalle des Schreckens durch den weiten
Himmel jaget?

Hr. Kl. hat für gut befunden, diese Vorstel-
lungsart anzupreisen a); und ich fände es bei nahe
gut, davor zu warnen. Der Begriff der Gottheit,
der jetzt, als Hauptcharakter, den Gemüthern der
Menschen beiwohnet, ist erhabner und gereinigter,
als daß er ein solches Bild ertrüge. Jn den sinn-
lichen Zeiten der jüdischen Dichter war "furchtbare
"Macht" gleichsam der Hauptanblick, mit dem
man sich den Herrn dachte; man schrieb nach ei-
nem Jdol der Erziehung, und nach einem herrschen-
den Zeitbegriffe, dem Wagen Gottes die gewaltigen
Donner zu, die über das jüdische Land hinzogen, und
dahin aus, auf diesen sinnlichen Begriff, gehen auch
die höchsten Bilder der Propheten. Jrre ich nicht,
so ist die gemeine Vorstellungsart unsrer christli-
chen Zeiten darinn sanfter. Das erste Bild, das
wir uns von unserm Gotte machen, ist vielmehr das
Bild von dem vollkommensten, weisesten, gü-
tigsten
Wesen, dem Vater, und unsichtbaren Er-
halter der Welt; als von einem zornigen Donne-
rer, von einem allmächtigen Weltverwüster. Soll
also ja der Höchste gebildet werden, so zeige man ihn
in dieser, für uns der würdigsten Stellung, oder

gar
a) p. 115--122. Ostendi uno, eoque satis illustri
exemplo, quomodo imitari possint nostri artifi-
ces veterum monimenta
-- ist das nicht viel?

Kritiſche Waͤlder.
mit dem Schalle des Schreckens durch den weiten
Himmel jaget?

Hr. Kl. hat fuͤr gut befunden, dieſe Vorſtel-
lungsart anzupreiſen a); und ich faͤnde es bei nahe
gut, davor zu warnen. Der Begriff der Gottheit,
der jetzt, als Hauptcharakter, den Gemuͤthern der
Menſchen beiwohnet, iſt erhabner und gereinigter,
als daß er ein ſolches Bild ertruͤge. Jn den ſinn-
lichen Zeiten der juͤdiſchen Dichter war „furchtbare
„Macht„ gleichſam der Hauptanblick, mit dem
man ſich den Herrn dachte; man ſchrieb nach ei-
nem Jdol der Erziehung, und nach einem herrſchen-
den Zeitbegriffe, dem Wagen Gottes die gewaltigen
Donner zu, die uͤber das juͤdiſche Land hinzogen, und
dahin aus, auf dieſen ſinnlichen Begriff, gehen auch
die hoͤchſten Bilder der Propheten. Jrre ich nicht,
ſo iſt die gemeine Vorſtellungsart unſrer chriſtli-
chen Zeiten darinn ſanfter. Das erſte Bild, das
wir uns von unſerm Gotte machen, iſt vielmehr das
Bild von dem vollkommenſten, weiſeſten, guͤ-
tigſten
Weſen, dem Vater, und unſichtbaren Er-
halter der Welt; als von einem zornigen Donne-
rer, von einem allmaͤchtigen Weltverwuͤſter. Soll
alſo ja der Hoͤchſte gebildet werden, ſo zeige man ihn
in dieſer, fuͤr uns der wuͤrdigſten Stellung, oder

gar
a) p. 115—122. Oſtendi uno, eoque ſatis illuſtri
exemplo, quomodo imitari poſſint noſtri artifi-
ces veterum monimenta
— iſt das nicht viel?
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[94/0100] Kritiſche Waͤlder. mit dem Schalle des Schreckens durch den weiten Himmel jaget? Hr. Kl. hat fuͤr gut befunden, dieſe Vorſtel- lungsart anzupreiſen a); und ich faͤnde es bei nahe gut, davor zu warnen. Der Begriff der Gottheit, der jetzt, als Hauptcharakter, den Gemuͤthern der Menſchen beiwohnet, iſt erhabner und gereinigter, als daß er ein ſolches Bild ertruͤge. Jn den ſinn- lichen Zeiten der juͤdiſchen Dichter war „furchtbare „Macht„ gleichſam der Hauptanblick, mit dem man ſich den Herrn dachte; man ſchrieb nach ei- nem Jdol der Erziehung, und nach einem herrſchen- den Zeitbegriffe, dem Wagen Gottes die gewaltigen Donner zu, die uͤber das juͤdiſche Land hinzogen, und dahin aus, auf dieſen ſinnlichen Begriff, gehen auch die hoͤchſten Bilder der Propheten. Jrre ich nicht, ſo iſt die gemeine Vorſtellungsart unſrer chriſtli- chen Zeiten darinn ſanfter. Das erſte Bild, das wir uns von unſerm Gotte machen, iſt vielmehr das Bild von dem vollkommenſten, weiſeſten, guͤ- tigſten Weſen, dem Vater, und unſichtbaren Er- halter der Welt; als von einem zornigen Donne- rer, von einem allmaͤchtigen Weltverwuͤſter. Soll alſo ja der Hoͤchſte gebildet werden, ſo zeige man ihn in dieſer, fuͤr uns der wuͤrdigſten Stellung, oder gar a) p. 115—122. Oſtendi uno, eoque ſatis illuſtri exemplo, quomodo imitari poſſint noſtri artifi- ces veterum monimenta — iſt das nicht viel?

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische02_1769/100>, abgerufen am 22.11.2024.