[Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769.Kritische Wälder. die egyptischen, allegorische Ungeheuer: noch, wie diepersischen und indischen, beinahe ohne Bild: noch, wie die hetrurischen, traurige und unanständige Fi- guren; sondern an Bildung reizend dem Auge. Jn der ganzen Natur der Dinge fanden die Griechen keine bessere Vorstellung der göttlichen Natur, wie eines Jnbegrifs der Vollkommenheiten, als die menschliche Gestalt; und wiederum, welches zu be- weisen wäre, keine der Gottheiten war so charakteri- sirt, daß sie immer häßlich hätte gebildet wer- den müssen, um das zu seyn, was sie seyn sollte. Die Götterbegriffe der Griechen waren von Dich- tern bestimmet, und diese Dichter waren Dichter der Schönheit. Die Griechen hatten z. E. einen Jupiter, der doch
Kritiſche Waͤlder. die egyptiſchen, allegoriſche Ungeheuer: noch, wie dieperſiſchen und indiſchen, beinahe ohne Bild: noch, wie die hetruriſchen, traurige und unanſtaͤndige Fi- guren; ſondern an Bildung reizend dem Auge. Jn der ganzen Natur der Dinge fanden die Griechen keine beſſere Vorſtellung der goͤttlichen Natur, wie eines Jnbegrifs der Vollkommenheiten, als die menſchliche Geſtalt; und wiederum, welches zu be- weiſen waͤre, keine der Gottheiten war ſo charakteri- ſirt, daß ſie immer haͤßlich haͤtte gebildet wer- den muͤſſen, um das zu ſeyn, was ſie ſeyn ſollte. Die Goͤtterbegriffe der Griechen waren von Dich- tern beſtimmet, und dieſe Dichter waren Dichter der Schoͤnheit. Die Griechen hatten z. E. einen Jupiter, der doch
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Kritiſche Waͤlder.
die egyptiſchen, allegoriſche Ungeheuer: noch, wie die
perſiſchen und indiſchen, beinahe ohne Bild: noch,
wie die hetruriſchen, traurige und unanſtaͤndige Fi-
guren; ſondern an Bildung reizend dem Auge. Jn
der ganzen Natur der Dinge fanden die Griechen
keine beſſere Vorſtellung der goͤttlichen Natur, wie
eines Jnbegrifs der Vollkommenheiten, als die
menſchliche Geſtalt; und wiederum, welches zu be-
weiſen waͤre, keine der Gottheiten war ſo charakteri-
ſirt, daß ſie immer haͤßlich haͤtte gebildet wer-
den muͤſſen, um das zu ſeyn, was ſie ſeyn ſollte.
Die Goͤtterbegriffe der Griechen waren von Dich-
tern beſtimmet, und dieſe Dichter waren Dichter
der Schoͤnheit.
Die Griechen hatten z. E. einen Jupiter, der
freilich nicht immer μιλιχιος, der auch oft der Zor-
nige, der Grimmige war: und der Dichter konnte
ihn ſeinem Zwecke gemaͤß ſchildern. Wie aber der
Kuͤnſtler? Wer will denn immer gern einen zorni-
gen Jupiter ſehen, da ſein Zorn doch mit dem Un-
gewitter uͤbergeht? Was alſo natuͤrlicher, als daß
er zu dem ewigen Anblicke ſeines Kunſtſtuͤckes den
Anblick einer ſchoͤnen Groͤße lieber waͤhlte, und ihm
nur hohen Ernſt in ſein Geſicht ſchuf? — Nun
kann es freilich, und inſonderheit in der aͤltern Zeit
der Religion, auch Abbildungen des Zorns gegeben
haben: allein, was thut dieß? der Hauptbegriff bei
Jupiter, ſelbſt wenn er den Donner wirft, bleibt
doch
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