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[Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769.

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Erstes Wäldchen.

Um endlich vem herrschenden Geschmacke zu
urtheilen, nehme man freilich nicht alle Zeiten gleich,
sondern die, da der Geschmack schon ausgebildet, da
er durch keine Kakozelie verdorben erscheint: im er-
sten Fall ist noch kein Gesetz gegeben, im zweiten
ists eine Zeitlang unter die Bank gebracht; deßwegen
aber noch immer Landesgesetz. -- Und nach die-
sen Bestimmungen kann L. allerdings fest setzen:
"daß bei den Alten die Schönheit das höchste Ge-
"setz der bildenden Künste gewesen."

Allein bei welchen Alten? seit wenn? wie lan-
re? welche Unter-welche Nebengesetze? Und wo-
her ists bei den Griechen so vorzüglich, vor allen
Nationen, höchstes Gesetz geworden? Andre wich-
tige Fragen, wo bei der letzten mir W. selbst kaum
ein Gnüge thut.

Hr. L. kommt auf zwo Situationen, die hier-
in einschlagen: "daß bei den Alten auch die Kün-
"ste bürgerlichen Gesetzen unterworfen gewesen,
"und was die bildenden Künste auf den Charakter
"einer Nation wirken können a)." Allein, über bei-
des konnte er sich nur im Vorbeigehen erklären. Es
muß aus Gründen hergeleitet werden können: wie
bei den Griechen Gesetze über die Kunst nicht blos,
wie weit es Hr. L. nimmt, erlaubt; sondern nö-
thig
gewesen -- wie bei ihnen Kunst und Poesie
und Musik weit mehr zum Wesentlichen des Staats

gehö-
a) Laok. pag. 12. -- 15.
Erſtes Waͤldchen.

Um endlich vem herrſchenden Geſchmacke zu
urtheilen, nehme man freilich nicht alle Zeiten gleich,
ſondern die, da der Geſchmack ſchon ausgebildet, da
er durch keine Kakozelie verdorben erſcheint: im er-
ſten Fall iſt noch kein Geſetz gegeben, im zweiten
iſts eine Zeitlang unter die Bank gebracht; deßwegen
aber noch immer Landesgeſetz. — Und nach die-
ſen Beſtimmungen kann L. allerdings feſt ſetzen:
„daß bei den Alten die Schoͤnheit das hoͤchſte Ge-
„ſetz der bildenden Kuͤnſte geweſen.„

Allein bei welchen Alten? ſeit wenn? wie lan-
re? welche Unter-welche Nebengeſetze? Und wo-
her iſts bei den Griechen ſo vorzuͤglich, vor allen
Nationen, hoͤchſtes Geſetz geworden? Andre wich-
tige Fragen, wo bei der letzten mir W. ſelbſt kaum
ein Gnuͤge thut.

Hr. L. kommt auf zwo Situationen, die hier-
in einſchlagen: „daß bei den Alten auch die Kuͤn-
„ſte buͤrgerlichen Geſetzen unterworfen geweſen,
„und was die bildenden Kuͤnſte auf den Charakter
„einer Nation wirken koͤnnen a).„ Allein, uͤber bei-
des konnte er ſich nur im Vorbeigehen erklaͤren. Es
muß aus Gruͤnden hergeleitet werden koͤnnen: wie
bei den Griechen Geſetze uͤber die Kunſt nicht blos,
wie weit es Hr. L. nimmt, erlaubt; ſondern noͤ-
thig
geweſen — wie bei ihnen Kunſt und Poeſie
und Muſik weit mehr zum Weſentlichen des Staats

gehoͤ-
a) Laok. pag. 12. — 15.
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[77/0083] Erſtes Waͤldchen. Um endlich vem herrſchenden Geſchmacke zu urtheilen, nehme man freilich nicht alle Zeiten gleich, ſondern die, da der Geſchmack ſchon ausgebildet, da er durch keine Kakozelie verdorben erſcheint: im er- ſten Fall iſt noch kein Geſetz gegeben, im zweiten iſts eine Zeitlang unter die Bank gebracht; deßwegen aber noch immer Landesgeſetz. — Und nach die- ſen Beſtimmungen kann L. allerdings feſt ſetzen: „daß bei den Alten die Schoͤnheit das hoͤchſte Ge- „ſetz der bildenden Kuͤnſte geweſen.„ Allein bei welchen Alten? ſeit wenn? wie lan- re? welche Unter-welche Nebengeſetze? Und wo- her iſts bei den Griechen ſo vorzuͤglich, vor allen Nationen, hoͤchſtes Geſetz geworden? Andre wich- tige Fragen, wo bei der letzten mir W. ſelbſt kaum ein Gnuͤge thut. Hr. L. kommt auf zwo Situationen, die hier- in einſchlagen: „daß bei den Alten auch die Kuͤn- „ſte buͤrgerlichen Geſetzen unterworfen geweſen, „und was die bildenden Kuͤnſte auf den Charakter „einer Nation wirken koͤnnen a).„ Allein, uͤber bei- des konnte er ſich nur im Vorbeigehen erklaͤren. Es muß aus Gruͤnden hergeleitet werden koͤnnen: wie bei den Griechen Geſetze uͤber die Kunſt nicht blos, wie weit es Hr. L. nimmt, erlaubt; ſondern noͤ- thig geweſen — wie bei ihnen Kunſt und Poeſie und Muſik weit mehr zum Weſentlichen des Staats gehoͤ- a) Laok. pag. 12. — 15.

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Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische01_1769/83>, abgerufen am 27.11.2024.