Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769.

Bild:
<< vorherige Seite
Kritische Wälder.
6.

Der große Winkelmann hat uns die schöne grie-
chische Natur so meisterhaft gezeiget, daß wohl kei-
ner, als ein Unwissender und Fühlloser, es leugnen
wird, "ihr Hauptgesetz in der bildenden Kunst sey
"Schönheit gewesen." Deß ohngeachtet dünkt
mich noch die erste Quelle mit einigen ihrer Adern
unentdeckt: warum die Griechen in Bildung des
Schönen so hoch gekommen, um allen Völkern der
Erde hierinn den Preis abzulaufen? Herr Lessing
giebt auch ein Supplement a) dazu, da er uns den
Griechen, im Gegensatz mit dem Kunstgeschmack un-
serer Zeit, als einen Künstler zeiget, der der Kunst
nur enge Grenzen gesetzt, und sie blos auf die Nach-
ahmung schöner Körper eingeschränket: "sein Künst-
"ler schilderte nichts, als das Schöne."

Nichts, als das Schöne? Nun ja! mein Leser,
ich habe die weisen Erinnerungen und Einschrän-
kungen gelesen, die man wider diesen Lessingschen
Satz sehr gelehrt aufgeworfen; allein man muß L.
erst verstehen, ehe man ihn widerlegt. Will er sa-
gen, daß die Griechen nichts Häßliches gebildet?
Jch glaube nicht, und wünsche an einem andern
Orte b) die Worte weg: "die Griechen haben nie ei-
"ne Furie gebildet. " Denn gienge sein Satz so
weit: so hätte Hr. Klotz noch in jedem seiner künf-
tigen Schriften Gelegenheit, ein Beispiel anzubrin-

gen,
a) Laok. p. 9-22.
b) Laok. p. 16.
Kritiſche Waͤlder.
6.

Der große Winkelmann hat uns die ſchoͤne grie-
chiſche Natur ſo meiſterhaft gezeiget, daß wohl kei-
ner, als ein Unwiſſender und Fuͤhlloſer, es leugnen
wird, „ihr Hauptgeſetz in der bildenden Kunſt ſey
„Schoͤnheit geweſen.„ Deß ohngeachtet duͤnkt
mich noch die erſte Quelle mit einigen ihrer Adern
unentdeckt: warum die Griechen in Bildung des
Schoͤnen ſo hoch gekommen, um allen Voͤlkern der
Erde hierinn den Preis abzulaufen? Herr Leſſing
giebt auch ein Supplement a) dazu, da er uns den
Griechen, im Gegenſatz mit dem Kunſtgeſchmack un-
ſerer Zeit, als einen Kuͤnſtler zeiget, der der Kunſt
nur enge Grenzen geſetzt, und ſie blos auf die Nach-
ahmung ſchoͤner Koͤrper eingeſchraͤnket: „ſein Kuͤnſt-
„ler ſchilderte nichts, als das Schoͤne.„

Nichts, als das Schoͤne? Nun ja! mein Leſer,
ich habe die weiſen Erinnerungen und Einſchraͤn-
kungen geleſen, die man wider dieſen Leſſingſchen
Satz ſehr gelehrt aufgeworfen; allein man muß L.
erſt verſtehen, ehe man ihn widerlegt. Will er ſa-
gen, daß die Griechen nichts Haͤßliches gebildet?
Jch glaube nicht, und wuͤnſche an einem andern
Orte b) die Worte weg: „die Griechen haben nie ei-
„ne Furie gebildet. „ Denn gienge ſein Satz ſo
weit: ſo haͤtte Hr. Klotz noch in jedem ſeiner kuͤnf-
tigen Schriften Gelegenheit, ein Beiſpiel anzubrin-

gen,
a) Laok. p. 9-22.
b) Laok. p. 16.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0080" n="74"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Kriti&#x017F;che Wa&#x0364;lder.</hi> </fw><lb/>
        <div n="2">
          <head>6.</head><lb/>
          <p>Der große Winkelmann hat uns die &#x017F;cho&#x0364;ne grie-<lb/>
chi&#x017F;che Natur &#x017F;o mei&#x017F;terhaft gezeiget, daß wohl kei-<lb/>
ner, als ein Unwi&#x017F;&#x017F;ender und Fu&#x0364;hllo&#x017F;er, es leugnen<lb/>
wird, &#x201E;ihr Hauptge&#x017F;etz in der bildenden Kun&#x017F;t &#x017F;ey<lb/>
&#x201E;Scho&#x0364;nheit gewe&#x017F;en.&#x201E; Deß ohngeachtet du&#x0364;nkt<lb/>
mich noch die er&#x017F;te Quelle mit einigen ihrer Adern<lb/>
unentdeckt: <hi rendition="#fr">warum</hi> die Griechen in Bildung des<lb/>
Scho&#x0364;nen &#x017F;o hoch gekommen, um allen Vo&#x0364;lkern der<lb/>
Erde hierinn den Preis abzulaufen? Herr Le&#x017F;&#x017F;ing<lb/>
giebt auch ein Supplement <note place="foot" n="a)">Laok. <hi rendition="#aq">p.</hi> 9-22.</note> dazu, da er uns den<lb/>
Griechen, im Gegen&#x017F;atz mit dem Kun&#x017F;tge&#x017F;chmack un-<lb/>
&#x017F;erer Zeit, als einen Ku&#x0364;n&#x017F;tler zeiget, der der Kun&#x017F;t<lb/>
nur enge Grenzen ge&#x017F;etzt, und &#x017F;ie blos auf die Nach-<lb/>
ahmung &#x017F;cho&#x0364;ner Ko&#x0364;rper einge&#x017F;chra&#x0364;nket: &#x201E;&#x017F;ein Ku&#x0364;n&#x017F;t-<lb/>
&#x201E;ler &#x017F;childerte nichts, als das Scho&#x0364;ne.&#x201E;</p><lb/>
          <p>Nichts, als das Scho&#x0364;ne? Nun ja! mein Le&#x017F;er,<lb/>
ich habe die wei&#x017F;en Erinnerungen und Ein&#x017F;chra&#x0364;n-<lb/>
kungen gele&#x017F;en, die man wider die&#x017F;en Le&#x017F;&#x017F;ing&#x017F;chen<lb/>
Satz &#x017F;ehr gelehrt aufgeworfen; allein man muß L.<lb/>
er&#x017F;t ver&#x017F;tehen, ehe man ihn widerlegt. Will er &#x017F;a-<lb/>
gen, daß die Griechen nichts Ha&#x0364;ßliches gebildet?<lb/>
Jch glaube nicht, und wu&#x0364;n&#x017F;che an einem andern<lb/>
Orte <note place="foot" n="b)">Laok. <hi rendition="#aq">p.</hi> 16.</note> die Worte weg: &#x201E;die Griechen haben nie ei-<lb/>
&#x201E;ne Furie gebildet. &#x201E; Denn gienge &#x017F;ein Satz &#x017F;o<lb/>
weit: &#x017F;o ha&#x0364;tte Hr. Klotz noch in jedem &#x017F;einer ku&#x0364;nf-<lb/>
tigen Schriften Gelegenheit, ein Bei&#x017F;piel anzubrin-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">gen,</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[74/0080] Kritiſche Waͤlder. 6. Der große Winkelmann hat uns die ſchoͤne grie- chiſche Natur ſo meiſterhaft gezeiget, daß wohl kei- ner, als ein Unwiſſender und Fuͤhlloſer, es leugnen wird, „ihr Hauptgeſetz in der bildenden Kunſt ſey „Schoͤnheit geweſen.„ Deß ohngeachtet duͤnkt mich noch die erſte Quelle mit einigen ihrer Adern unentdeckt: warum die Griechen in Bildung des Schoͤnen ſo hoch gekommen, um allen Voͤlkern der Erde hierinn den Preis abzulaufen? Herr Leſſing giebt auch ein Supplement a) dazu, da er uns den Griechen, im Gegenſatz mit dem Kunſtgeſchmack un- ſerer Zeit, als einen Kuͤnſtler zeiget, der der Kunſt nur enge Grenzen geſetzt, und ſie blos auf die Nach- ahmung ſchoͤner Koͤrper eingeſchraͤnket: „ſein Kuͤnſt- „ler ſchilderte nichts, als das Schoͤne.„ Nichts, als das Schoͤne? Nun ja! mein Leſer, ich habe die weiſen Erinnerungen und Einſchraͤn- kungen geleſen, die man wider dieſen Leſſingſchen Satz ſehr gelehrt aufgeworfen; allein man muß L. erſt verſtehen, ehe man ihn widerlegt. Will er ſa- gen, daß die Griechen nichts Haͤßliches gebildet? Jch glaube nicht, und wuͤnſche an einem andern Orte b) die Worte weg: „die Griechen haben nie ei- „ne Furie gebildet. „ Denn gienge ſein Satz ſo weit: ſo haͤtte Hr. Klotz noch in jedem ſeiner kuͤnf- tigen Schriften Gelegenheit, ein Beiſpiel anzubrin- gen, a) Laok. p. 9-22. b) Laok. p. 16.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische01_1769
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische01_1769/80
Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische01_1769/80>, abgerufen am 22.12.2024.