[Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769.Erstes Wäldchen. und ich würde kaum eine gute Jdee von dem Jüng-linge fassen, den bei Homer diese Bilder nicht rühr- ten. Eine eben so zarte Empfindung erregt der Tod eines Mannes, der sein Leben nur halb ge- braucht, der z. E. wie der Protesilaus Homers halbgeendigte Palläste der Pracht, halb vollendete Entwürfe des männlichen Stolzes nachließ, der sich Anlagen und Geschicklichkeiten umsonst erwor- ben, den Diana vergebens jagen, und Pallas um- sonst kriegen gelehret: rührende Bilder aus einer menschlichen Welt, in die uns Homer so gern ver- setzet, und in der freilich die Helden leben müssen, die "an Thaten den Göttern, und an Empfindun- "gen den Menschen gleich sind." Jch kann meine Materie nicht vollenden; al- gewicht D 2
Erſtes Waͤldchen. und ich wuͤrde kaum eine gute Jdee von dem Juͤng-linge faſſen, den bei Homer dieſe Bilder nicht ruͤhr- ten. Eine eben ſo zarte Empfindung erregt der Tod eines Mannes, der ſein Leben nur halb ge- braucht, der z. E. wie der Proteſilaus Homers halbgeendigte Pallaͤſte der Pracht, halb vollendete Entwuͤrfe des maͤnnlichen Stolzes nachließ, der ſich Anlagen und Geſchicklichkeiten umſonſt erwor- ben, den Diana vergebens jagen, und Pallas um- ſonſt kriegen gelehret: ruͤhrende Bilder aus einer menſchlichen Welt, in die uns Homer ſo gern ver- ſetzet, und in der freilich die Helden leben muͤſſen, die „an Thaten den Goͤttern, und an Empfindun- „gen den Menſchen gleich ſind.„ Jch kann meine Materie nicht vollenden; al- gewicht D 2
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Erſtes Waͤldchen.
und ich wuͤrde kaum eine gute Jdee von dem Juͤng-
linge faſſen, den bei Homer dieſe Bilder nicht ruͤhr-
ten. Eine eben ſo zarte Empfindung erregt der
Tod eines Mannes, der ſein Leben nur halb ge-
braucht, der z. E. wie der Proteſilaus Homers
halbgeendigte Pallaͤſte der Pracht, halb vollendete
Entwuͤrfe des maͤnnlichen Stolzes nachließ, der
ſich Anlagen und Geſchicklichkeiten umſonſt erwor-
ben, den Diana vergebens jagen, und Pallas um-
ſonſt kriegen gelehret: ruͤhrende Bilder aus einer
menſchlichen Welt, in die uns Homer ſo gern ver-
ſetzet, und in der freilich die Helden leben muͤſſen,
die „an Thaten den Goͤttern, und an Empfindun-
„gen den Menſchen gleich ſind.„
Jch kann meine Materie nicht vollenden; al-
lein zuſammen genommen dieſe Einzelnheiten, wird
man ein Zeitalter gewahr, da die Helden, ſo weit
ſie uͤber die menſchliche Natur erhoben ſeyn moͤgen,
doch in dem Gefuͤhle der Betruͤbniß, und in der
Aeußerung derſelben durch Thraͤnen, derſelben treu
bleiben, treuer bleiben, als wir, bei denen dieß ſanf-
te Gefuͤhl entweder erſtickt, oder in eine weibiſche
Ueppigkeit umgeſchmolzen wird. Zuruͤck alſo in
dieſe Welt ſetze ich mich, wenn ich die Helden Ho-
mers und die griechiſchen Tragoͤdien mit ganzer Seele
fuͤhlen will: allein auf Griechenland moͤchte ich dieß
Gefuͤhl nicht einſchraͤnken: denn wohin das beſchrie-
bene menſchliche Zeitalter trifft, da auch dieß Gleich-
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