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[Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769.

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Erstes Wäldchen
besausdrücken abgeborget hat, und diese endlich so
gar in Briefe zwischen Mannspersonen ausschüttet:
so verliert sich das Spielwerk von der Würde, ich
will nicht sagen, einer Heldenseele, sondern nur des
gesunden Verstandes völlig ab, und wird fader Un-
sinn. Oder wenn endlich gar der gothische Ton der
Liebe aus den mittlern Zeiten der Ritter und Rie-
sen, mit der süßen Artigkeit unsrer Zeiten in Eins
zusammen fließt: so wird alsdenn der herzbrechende
Parenthyrsus, die weinerliche Galanterie daraus,
von der fürwahr! ein griechischer Held, mit aller sei-
ner Empfindbarkeit für die Schwachheiten mensch-
licher Natur, eben so viel wußte, als der weise So-
krates von der Klosterheiligkeit der Kapuciner.

Ueberhaupt: da die Scene des menschlichen Le-
bens noch mehr ins offene Auge fiel: da die Ge-
schäfte der Welt noch nicht so verwickelt und fein,
aber um so verdienstvoller für die Menschheit seyn
mochten: da die Nutzbarkeit und Geschicklichkeit
und Tugend noch nicht in so krummen Linien zu be-
rechnen, sondern menschlich war: da zog das Men-
schengefühl auch die Gemüther noch mehr zusam-
men; und die Gräber der Guten des Landes foder-
ten die Thräne des Helden. Einfacher und mehr
zum Augenschein war das Leben des andern, und
seine Tugenden und Verdienste auch also treffender
an das Herz, denn ein Held, ein Staatskluger, ein
Verdienstvoller, ein Weiser, so wie ihn die alte Zeit

foder-
D

Erſtes Waͤldchen
besausdruͤcken abgeborget hat, und dieſe endlich ſo
gar in Briefe zwiſchen Mannsperſonen ausſchuͤttet:
ſo verliert ſich das Spielwerk von der Wuͤrde, ich
will nicht ſagen, einer Heldenſeele, ſondern nur des
geſunden Verſtandes voͤllig ab, und wird fader Un-
ſinn. Oder wenn endlich gar der gothiſche Ton der
Liebe aus den mittlern Zeiten der Ritter und Rie-
ſen, mit der ſuͤßen Artigkeit unſrer Zeiten in Eins
zuſammen fließt: ſo wird alsdenn der herzbrechende
Parenthyrſus, die weinerliche Galanterie daraus,
von der fuͤrwahr! ein griechiſcher Held, mit aller ſei-
ner Empfindbarkeit fuͤr die Schwachheiten menſch-
licher Natur, eben ſo viel wußte, als der weiſe So-
krates von der Kloſterheiligkeit der Kapuciner.

Ueberhaupt: da die Scene des menſchlichen Le-
bens noch mehr ins offene Auge fiel: da die Ge-
ſchaͤfte der Welt noch nicht ſo verwickelt und fein,
aber um ſo verdienſtvoller fuͤr die Menſchheit ſeyn
mochten: da die Nutzbarkeit und Geſchicklichkeit
und Tugend noch nicht in ſo krummen Linien zu be-
rechnen, ſondern menſchlich war: da zog das Men-
ſchengefuͤhl auch die Gemuͤther noch mehr zuſam-
men; und die Graͤber der Guten des Landes foder-
ten die Thraͤne des Helden. Einfacher und mehr
zum Augenſchein war das Leben des andern, und
ſeine Tugenden und Verdienſte auch alſo treffender
an das Herz, denn ein Held, ein Staatskluger, ein
Verdienſtvoller, ein Weiſer, ſo wie ihn die alte Zeit

foder-
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[49/0055] Erſtes Waͤldchen besausdruͤcken abgeborget hat, und dieſe endlich ſo gar in Briefe zwiſchen Mannsperſonen ausſchuͤttet: ſo verliert ſich das Spielwerk von der Wuͤrde, ich will nicht ſagen, einer Heldenſeele, ſondern nur des geſunden Verſtandes voͤllig ab, und wird fader Un- ſinn. Oder wenn endlich gar der gothiſche Ton der Liebe aus den mittlern Zeiten der Ritter und Rie- ſen, mit der ſuͤßen Artigkeit unſrer Zeiten in Eins zuſammen fließt: ſo wird alsdenn der herzbrechende Parenthyrſus, die weinerliche Galanterie daraus, von der fuͤrwahr! ein griechiſcher Held, mit aller ſei- ner Empfindbarkeit fuͤr die Schwachheiten menſch- licher Natur, eben ſo viel wußte, als der weiſe So- krates von der Kloſterheiligkeit der Kapuciner. Ueberhaupt: da die Scene des menſchlichen Le- bens noch mehr ins offene Auge fiel: da die Ge- ſchaͤfte der Welt noch nicht ſo verwickelt und fein, aber um ſo verdienſtvoller fuͤr die Menſchheit ſeyn mochten: da die Nutzbarkeit und Geſchicklichkeit und Tugend noch nicht in ſo krummen Linien zu be- rechnen, ſondern menſchlich war: da zog das Men- ſchengefuͤhl auch die Gemuͤther noch mehr zuſam- men; und die Graͤber der Guten des Landes foder- ten die Thraͤne des Helden. Einfacher und mehr zum Augenſchein war das Leben des andern, und ſeine Tugenden und Verdienſte auch alſo treffender an das Herz, denn ein Held, ein Staatskluger, ein Verdienſtvoller, ein Weiſer, ſo wie ihn die alte Zeit foder- D

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Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische01_1769/55>, abgerufen am 27.11.2024.