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[Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769.

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Erstes Wäldchen.
noch Statt finden? Der Freund wird ein Gesellschaf-
ter, und ein Ding seyn, was man will, nur nicht,
was er in der Welt der Helden, und der Freund-
schaftsbündnisse war, es mochte diese Welt übrigens
in Griechenland, oder Schottland, oder Amerika
leben. Verstopft also eine neue Quelle zu Helden-
thränen, wenigstens ist das rührendste Bild zweener
Freunde jetzt ein Cabinetstück blos, uud nicht mehr
ein Schauspiel der Welt, wie ehedem, und so anders,
als Achilles, als Held, nach unsern Zeiten seyn
müßte: so fremde ist für sie "der um seinen Patro-
klus weinende, und bis zum Unsinn betrübte und
rasende Achilles."

Wenn es eine Zeit und ein Land giebt, da die
Schönheit noch mehr Natur, noch minder Putz und
Schminke: da die Liebe noch nicht Galanterie, und
die männliche Gabe zu gefallen, etwas mehr als
Artigkeit ist: da wird auch die Empfindung, die
Sprache, und selbst die Thräne der Liebe Würde ha-
ben, und selbst das Auge eines Helden nicht enteh-
ren. Freilich wird dieser nicht, wie Polyphem,
der Cyklope Theokrits, elegisiren; aber gewiß noch
weniger mit dem Philoktet des Chateaubrun, und
mit den verliebten griechischen Helden der französi-
schen Bühne. Die wahre Empfindung, und ein
männlicher Werth hat seine Würde und Hoheit,
ohne diese von ungeheuren Metaphern, von galan-
ten Wortspielen, oder von artigen Seufzern zu bor-

gen:

Erſtes Waͤldchen.
noch Statt finden? Der Freund wird ein Geſellſchaf-
ter, und ein Ding ſeyn, was man will, nur nicht,
was er in der Welt der Helden, und der Freund-
ſchaftsbuͤndniſſe war, es mochte dieſe Welt uͤbrigens
in Griechenland, oder Schottland, oder Amerika
leben. Verſtopft alſo eine neue Quelle zu Helden-
thraͤnen, wenigſtens iſt das ruͤhrendſte Bild zweener
Freunde jetzt ein Cabinetſtuͤck blos, uud nicht mehr
ein Schauſpiel der Welt, wie ehedem, und ſo anders,
als Achilles, als Held, nach unſern Zeiten ſeyn
muͤßte: ſo fremde iſt fuͤr ſie „der um ſeinen Patro-
klus weinende, und bis zum Unſinn betruͤbte und
raſende Achilles.„

Wenn es eine Zeit und ein Land giebt, da die
Schoͤnheit noch mehr Natur, noch minder Putz und
Schminke: da die Liebe noch nicht Galanterie, und
die maͤnnliche Gabe zu gefallen, etwas mehr als
Artigkeit iſt: da wird auch die Empfindung, die
Sprache, und ſelbſt die Thraͤne der Liebe Wuͤrde ha-
ben, und ſelbſt das Auge eines Helden nicht enteh-
ren. Freilich wird dieſer nicht, wie Polyphem,
der Cyklope Theokrits, elegiſiren; aber gewiß noch
weniger mit dem Philoktet des Chateaubrun, und
mit den verliebten griechiſchen Helden der franzoͤſi-
ſchen Buͤhne. Die wahre Empfindung, und ein
maͤnnlicher Werth hat ſeine Wuͤrde und Hoheit,
ohne dieſe von ungeheuren Metaphern, von galan-
ten Wortſpielen, oder von artigen Seufzern zu bor-

gen:
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[47/0053] Erſtes Waͤldchen. noch Statt finden? Der Freund wird ein Geſellſchaf- ter, und ein Ding ſeyn, was man will, nur nicht, was er in der Welt der Helden, und der Freund- ſchaftsbuͤndniſſe war, es mochte dieſe Welt uͤbrigens in Griechenland, oder Schottland, oder Amerika leben. Verſtopft alſo eine neue Quelle zu Helden- thraͤnen, wenigſtens iſt das ruͤhrendſte Bild zweener Freunde jetzt ein Cabinetſtuͤck blos, uud nicht mehr ein Schauſpiel der Welt, wie ehedem, und ſo anders, als Achilles, als Held, nach unſern Zeiten ſeyn muͤßte: ſo fremde iſt fuͤr ſie „der um ſeinen Patro- klus weinende, und bis zum Unſinn betruͤbte und raſende Achilles.„ Wenn es eine Zeit und ein Land giebt, da die Schoͤnheit noch mehr Natur, noch minder Putz und Schminke: da die Liebe noch nicht Galanterie, und die maͤnnliche Gabe zu gefallen, etwas mehr als Artigkeit iſt: da wird auch die Empfindung, die Sprache, und ſelbſt die Thraͤne der Liebe Wuͤrde ha- ben, und ſelbſt das Auge eines Helden nicht enteh- ren. Freilich wird dieſer nicht, wie Polyphem, der Cyklope Theokrits, elegiſiren; aber gewiß noch weniger mit dem Philoktet des Chateaubrun, und mit den verliebten griechiſchen Helden der franzoͤſi- ſchen Buͤhne. Die wahre Empfindung, und ein maͤnnlicher Werth hat ſeine Wuͤrde und Hoheit, ohne dieſe von ungeheuren Metaphern, von galan- ten Wortſpielen, oder von artigen Seufzern zu bor- gen:

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Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische01_1769/53>, abgerufen am 23.11.2024.