[Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769.Erstes Wäldchen. gleich, zu einem Stande der Mode, und Eheleutezu nichts, als einander lästigen oder zeitkürzenden Personen: man erziehe die Brüder, daß sie schon an den Brüsten einer Fremden nicht mehr Brüder sind, und anwachsend immer fremder werden: man knüpfe Personen, die schon am Hochzeittage ge- trennt, und lege Kinder in ihre Arme, die blos ih- ren Namen haben dörfen -- freilich so wird eine Nerve des Gefühls getödtet: es erlischt der Ehren- name:" Achilles war ein Sohn Peleus "allmälich: die Sehnsucht des Ulysses zu seiner alten Penelope, und seinem steinigten Jthaka dünkt uns abentheuer- lich: der gefühlvolle Stolz der Morgenländer auf ihre Geschlechtswürde wird lächerlich in unsern Au- gen, und die Klagen eines Hallers, Klopstocks, Canitz, Oeders, dünken vielen artigen Ehemännern so poetisch, als eine Anrufung an die Muse. Es war eine Zeit (sie ist noch jetzt unter den setzt
Erſtes Waͤldchen. gleich, zu einem Stande der Mode, und Eheleutezu nichts, als einander laͤſtigen oder zeitkuͤrzenden Perſonen: man erziehe die Bruͤder, daß ſie ſchon an den Bruͤſten einer Fremden nicht mehr Bruͤder ſind, und anwachſend immer fremder werden: man knuͤpfe Perſonen, die ſchon am Hochzeittage ge- trennt, und lege Kinder in ihre Arme, die blos ih- ren Namen haben doͤrfen — freilich ſo wird eine Nerve des Gefuͤhls getoͤdtet: es erliſcht der Ehren- name:„ Achilles war ein Sohn Peleus „allmaͤlich: die Sehnſucht des Ulyſſes zu ſeiner alten Penelope, und ſeinem ſteinigten Jthaka duͤnkt uns abentheuer- lich: der gefuͤhlvolle Stolz der Morgenlaͤnder auf ihre Geſchlechtswuͤrde wird laͤcherlich in unſern Au- gen, und die Klagen eines Hallers, Klopſtocks, Canitz, Oeders, duͤnken vielen artigen Ehemaͤnnern ſo poetiſch, als eine Anrufung an die Muſe. Es war eine Zeit (ſie iſt noch jetzt unter den ſetzt
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Erſtes Waͤldchen.
gleich, zu einem Stande der Mode, und Eheleute
zu nichts, als einander laͤſtigen oder zeitkuͤrzenden
Perſonen: man erziehe die Bruͤder, daß ſie ſchon
an den Bruͤſten einer Fremden nicht mehr Bruͤder
ſind, und anwachſend immer fremder werden: man
knuͤpfe Perſonen, die ſchon am Hochzeittage ge-
trennt, und lege Kinder in ihre Arme, die blos ih-
ren Namen haben doͤrfen — freilich ſo wird eine
Nerve des Gefuͤhls getoͤdtet: es erliſcht der Ehren-
name:„ Achilles war ein Sohn Peleus „allmaͤlich:
die Sehnſucht des Ulyſſes zu ſeiner alten Penelope,
und ſeinem ſteinigten Jthaka duͤnkt uns abentheuer-
lich: der gefuͤhlvolle Stolz der Morgenlaͤnder auf
ihre Geſchlechtswuͤrde wird laͤcherlich in unſern Au-
gen, und die Klagen eines Hallers, Klopſtocks,
Canitz, Oeders, duͤnken vielen artigen Ehemaͤnnern
ſo poetiſch, als eine Anrufung an die Muſe.
Es war eine Zeit (ſie iſt noch jetzt unter den
Wilden!) da es Freunde gab, in einem Verſtande,
der ſonſt kaum Statt findet: zwei unzertrennliche Ge-
faͤhrten in Gluͤck und Ungluͤck, durch die heiligſten
Geſetze verbunden, wetteifernd in den ſtrengſten
Pflichten, und in Erfuͤllung derſelben Muſter ihrer
Vaterſtadt, und die Verehrung des Landes. Zu die-
ſem Gefuͤhl erzogen, beſiegelten ſie daſſelbe alſo oft
mit ihrem Tode und Blute: ſie verließen ihren
Freund nie, auch in Lebensgefahren, denen die da-
malige Tapferkeit mehr als unſre Ueppigkeit ausge-
ſetzt
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