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[Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769.

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Erstes Wäldchen.
auch dumm, er sey auch häßlich am Körper; wenn
er nicht boshaft handelte -- o so vergebe ich es
Ulysses nicht, daß er so mit ihm umgehet. Laß den
Häßlichen, der sich schön, den Dummen, der sich
klug, den Feigen, der sich tapfer dünkt, nur immer
ohne blutige Schwiele auf dem Rücken laufen! Laß
o Ulysses, nur immer deinen Zepter ruhen, und
wenn du nach deiner Klugheit dich selbst kennest, so
sprich zu dem, der dir blos lächerlich auf der Nase
spielt, was Onkel Tobias Shandy zu jener Flie-
ge: "Geh, armer Teufel! warum sollte ich dir was
"thun? die Welt ist gewiß weit gnug, mich und
"dich zu fassen." Thust du das nicht? willst du
einen häßlichlächerlichen dafür abprügeln, daß er
häßlich und lächerlich ist? Ulysses so -- --

Doch so ist der homerische Thersites nicht; er
verdient, was er bekam: wir sagen mit den Grie-
chen im Homer: "nie hat Ulysses edler gehandelt, als
"jetzt!" wir gönnen ihm gern seine Tracht Schläge.
Wo bleibt also das Unschädliche, das on phtharti-
kon, das Aristoteles zum Lächerlichen fodert? dem
Ulysses und Agamemnon schadet freilich sein bösar-
tiges Verläumden nicht; aber für seinen eignen Rü-
cken geht es nicht so gut ab; denn wem wird ein
blutiger schwielenvoller Rücken, als ein on phtharti-
kon ti, oder, als ein gutes Unterkleid dünken. Auch
den Griechen konnten Schläge, als Schläge, kein
Schauspiel des Lächerlichen scheinen; wenn ihr scha-

denfro-
Q 5

Erſtes Waͤldchen.
auch dumm, er ſey auch haͤßlich am Koͤrper; wenn
er nicht boshaft handelte — o ſo vergebe ich es
Ulyſſes nicht, daß er ſo mit ihm umgehet. Laß den
Haͤßlichen, der ſich ſchoͤn, den Dummen, der ſich
klug, den Feigen, der ſich tapfer duͤnkt, nur immer
ohne blutige Schwiele auf dem Ruͤcken laufen! Laß
o Ulyſſes, nur immer deinen Zepter ruhen, und
wenn du nach deiner Klugheit dich ſelbſt kenneſt, ſo
ſprich zu dem, der dir blos laͤcherlich auf der Naſe
ſpielt, was Onkel Tobias Shandy zu jener Flie-
ge: „Geh, armer Teufel! warum ſollte ich dir was
„thun? die Welt iſt gewiß weit gnug, mich und
„dich zu faſſen.„ Thuſt du das nicht? willſt du
einen haͤßlichlaͤcherlichen dafuͤr abpruͤgeln, daß er
haͤßlich und laͤcherlich iſt? Ulyſſes ſo — —

Doch ſo iſt der homeriſche Therſites nicht; er
verdient, was er bekam: wir ſagen mit den Grie-
chen im Homer: „nie hat Ulyſſes edler gehandelt, als
„jetzt!„ wir goͤnnen ihm gern ſeine Tracht Schlaͤge.
Wo bleibt alſo das Unſchaͤdliche, das ον φϑαρτι-
κον, das Ariſtoteles zum Laͤcherlichen fodert? dem
Ulyſſes und Agamemnon ſchadet freilich ſein boͤsar-
tiges Verlaͤumden nicht; aber fuͤr ſeinen eignen Ruͤ-
cken geht es nicht ſo gut ab; denn wem wird ein
blutiger ſchwielenvoller Ruͤcken, als ein ον φϑαρτι-
κον τι, oder, als ein gutes Unterkleid duͤnken. Auch
den Griechen konnten Schlaͤge, als Schlaͤge, kein
Schauſpiel des Laͤcherlichen ſcheinen; wenn ihr ſcha-

denfro-
Q 5
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[249/0255] Erſtes Waͤldchen. auch dumm, er ſey auch haͤßlich am Koͤrper; wenn er nicht boshaft handelte — o ſo vergebe ich es Ulyſſes nicht, daß er ſo mit ihm umgehet. Laß den Haͤßlichen, der ſich ſchoͤn, den Dummen, der ſich klug, den Feigen, der ſich tapfer duͤnkt, nur immer ohne blutige Schwiele auf dem Ruͤcken laufen! Laß o Ulyſſes, nur immer deinen Zepter ruhen, und wenn du nach deiner Klugheit dich ſelbſt kenneſt, ſo ſprich zu dem, der dir blos laͤcherlich auf der Naſe ſpielt, was Onkel Tobias Shandy zu jener Flie- ge: „Geh, armer Teufel! warum ſollte ich dir was „thun? die Welt iſt gewiß weit gnug, mich und „dich zu faſſen.„ Thuſt du das nicht? willſt du einen haͤßlichlaͤcherlichen dafuͤr abpruͤgeln, daß er haͤßlich und laͤcherlich iſt? Ulyſſes ſo — — Doch ſo iſt der homeriſche Therſites nicht; er verdient, was er bekam: wir ſagen mit den Grie- chen im Homer: „nie hat Ulyſſes edler gehandelt, als „jetzt!„ wir goͤnnen ihm gern ſeine Tracht Schlaͤge. Wo bleibt alſo das Unſchaͤdliche, das ον φϑαρτι- κον, das Ariſtoteles zum Laͤcherlichen fodert? dem Ulyſſes und Agamemnon ſchadet freilich ſein boͤsar- tiges Verlaͤumden nicht; aber fuͤr ſeinen eignen Ruͤ- cken geht es nicht ſo gut ab; denn wem wird ein blutiger ſchwielenvoller Ruͤcken, als ein ον φϑαρτι- κον τι, oder, als ein gutes Unterkleid duͤnken. Auch den Griechen konnten Schlaͤge, als Schlaͤge, kein Schauſpiel des Laͤcherlichen ſcheinen; wenn ihr ſcha- denfro- Q 5

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Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische01_1769/255>, abgerufen am 23.11.2024.