[Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769.Kritische Wälder. "will" oder "du sollst!" haben -- gnug, wennsein melos von Lust und Freude schallet: eine frohe Empfindung ist die Energie, die Muse jedes seiner Gesänge. Pindar hat ein großes lyrisches Gemälde, ein Wo mag nun Vergleichung Statt finden? Es ist eine längst angenommene, und an sich als
Kritiſche Waͤlder. „will„ oder „du ſollſt!„ haben — gnug, wennſein μελος von Luſt und Freude ſchallet: eine frohe Empfindung iſt die Energie, die Muſe jedes ſeiner Geſaͤnge. Pindar hat ein großes lyriſches Gemaͤlde, ein Wo mag nun Vergleichung Statt finden? Es iſt eine laͤngſt angenommene, und an ſich als
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Kritiſche Waͤlder.
„will„ oder „du ſollſt!„ haben — gnug, wenn
ſein μελος von Luſt und Freude ſchallet: eine frohe
Empfindung iſt die Energie, die Muſe jedes ſeiner
Geſaͤnge.
Pindar hat ein großes lyriſches Gemaͤlde, ein
labyrinthiſches Odengebaͤude im Sinne, das eben
durch anſcheinende Ausſchweifungen, durch Neben-
figuren in mancherlei Licht ein energiſches Ganzes
werden: wo kein Theil fuͤr ſich, wo jeder auf das
Ganze geordnet, erſcheinen ſoll: ein ειδος: ein poe-
tiſches Gemaͤlde, bei dem uͤberall ſchon der Kuͤnſt-
ler, nicht die Kunſt, ſichtbar iſt. „Jch ſinge!„
Wo mag nun Vergleichung Statt finden?
Das Jdealganze Homers, Anakreons, Pindars,
wie verſchieden! wie ungleich das Werk, worauf ſie
arbeiten! Der eine will nichts, als dichten: er er-
zaͤlet: er bezaubert; das Ganze der Begebenheit
iſt ſein Werk: er iſt ein Dichter voriger Zeiten.
Der andre will nicht ſprechen; aus ihm ſinget die
Freude; der Ausdruck einer lieblichen Empfindung
iſt ſein Ganzes. Der dritte ſpricht ſelbſt, damit
man ihn hoͤre: das Ganze ſeiner Ode iſt ein Gebaͤu-
de mit Symmetrie und hoher Kunſt. — Kann
jeder ſeinen Zweck auf ſeine Art erreichen: mir ſein
Ganzes vollkommen darſtellen; mich in dieſer An-
ſchauung taͤuſchen — was will ich mehr?
Es iſt eine laͤngſt angenommene, und an ſich
unſchuldige Hypotheſe, das Ganze jeder Gedichtart,
als
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