Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769.

Bild:
<< vorherige Seite

Erstes Wäldchen.
druck, den dieses Stück bei mir von lange her zu-
rück gelassen, derselbe ist, den W. will: nämlich der
Eindruck eines Helden, der mitten im Schmerz sei-
nen Schmerz bekämpft, ihn mit holem Seufzen
zurückhält, so lange, als er kann, und endlich, da
ihn das Ach! das entsetzliche Weh! übermannet,
noch immer nur einzelne, nur verstohlne Töne des
Jammers ausstößt, und das übrige in seine große
Seele verbirgt. Lasset uns Sophokles aufschlagen,
lasset uns lesen, als ob wir sähen, und ich glaube,
wir werden den nämlichen Philoktet gewahr werden,
den Sophokles schuf, und Winkelmann anführt,
wie er geschaffen ist.

Mit Anfange des dritten Aufzuges überraschet
ihn der Schmerz; aber mit brüllendem Geschrei?
Nein: mit einem plötzlichen Stillschweigen, mit
einer stummen Bestürzung, und da diese sich end-
lich lösen, mit einem holen verzognen a a a, das
sich auch kaum vom Neoptolem will hören lassen. a)
Was ist dir? fährt dieser auf. "Nichts böses,
gehe nur, mein Sohn; antwortet Philoktet, und
wie anders, als mit einem Gesicht voll Liebe, voll
zurückhaltendem Heldenmuthe. So geht die Sce-
ne des stummen Schmerzes fort: der bekümmerte,

der
a) Neo. erp' ei theleis. ti de poth od' 'den oudenos
Log[fremdsprachliches Material - Zeichen fehlt] siopas, kapoplektos od' ekhe;
Phil. a a a
Neo. ti 'stin;
Phil. [fremdsprachliches Material - Zeichen fehlt]d[fremdsprachliches Material - Zeichen fehlt]n deinon. all' id o teknon k. t. l.
B

Erſtes Waͤldchen.
druck, den dieſes Stuͤck bei mir von lange her zu-
ruͤck gelaſſen, derſelbe iſt, den W. will: naͤmlich der
Eindruck eines Helden, der mitten im Schmerz ſei-
nen Schmerz bekaͤmpft, ihn mit holem Seufzen
zuruͤckhaͤlt, ſo lange, als er kann, und endlich, da
ihn das Ach! das entſetzliche Weh! uͤbermannet,
noch immer nur einzelne, nur verſtohlne Toͤne des
Jammers ausſtoͤßt, und das uͤbrige in ſeine große
Seele verbirgt. Laſſet uns Sophokles aufſchlagen,
laſſet uns leſen, als ob wir ſaͤhen, und ich glaube,
wir werden den naͤmlichen Philoktet gewahr werden,
den Sophokles ſchuf, und Winkelmann anfuͤhrt,
wie er geſchaffen iſt.

Mit Anfange des dritten Aufzuges uͤberraſchet
ihn der Schmerz; aber mit bruͤllendem Geſchrei?
Nein: mit einem ploͤtzlichen Stillſchweigen, mit
einer ſtummen Beſtuͤrzung, und da dieſe ſich end-
lich loͤſen, mit einem holen verzognen ἆ ἆ ἆ, das
ſich auch kaum vom Neoptolem will hoͤren laſſen. a)
Was iſt dir? faͤhrt dieſer auf. „Nichts boͤſes,
gehe nur, mein Sohn; antwortet Philoktet, und
wie anders, als mit einem Geſicht voll Liebe, voll
zuruͤckhaltendem Heldenmuthe. So geht die Sce-
ne des ſtummen Schmerzes fort: der bekuͤmmerte,

der
a) Νεω. ἑρπ’ εἰ ϑέλεις. τί δή ποϑ ὧδ’ ’δεν ὀυδενός
Λόγ[fremdsprachliches Material – Zeichen fehlt] σιωπᾷς, κᾀποπλήκτως ὧδ’ ἔχη;
Φιλ. ἆ ἆ ἆ
Νεω. τι ’στιν;
Φιλ. [fremdsprachliches Material – Zeichen fehlt]δ[fremdsprachliches Material – Zeichen fehlt]ν δεινόν. ἀλλ’ ἰδ ω τέκνον κ. τ. λ.
B
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0023" n="17"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Er&#x017F;tes Wa&#x0364;ldchen.</hi></fw><lb/>
druck, den die&#x017F;es Stu&#x0364;ck bei mir von lange her zu-<lb/>
ru&#x0364;ck gela&#x017F;&#x017F;en, der&#x017F;elbe i&#x017F;t, den W. will: na&#x0364;mlich der<lb/>
Eindruck eines Helden, der mitten im Schmerz &#x017F;ei-<lb/>
nen Schmerz beka&#x0364;mpft, ihn mit holem Seufzen<lb/>
zuru&#x0364;ckha&#x0364;lt, &#x017F;o lange, als er kann, und endlich, da<lb/>
ihn das Ach! das ent&#x017F;etzliche Weh! u&#x0364;bermannet,<lb/>
noch immer nur einzelne, nur ver&#x017F;tohlne To&#x0364;ne des<lb/>
Jammers aus&#x017F;to&#x0364;ßt, und das u&#x0364;brige in &#x017F;eine große<lb/>
Seele verbirgt. La&#x017F;&#x017F;et uns Sophokles auf&#x017F;chlagen,<lb/>
la&#x017F;&#x017F;et uns le&#x017F;en, als ob wir &#x017F;a&#x0364;hen, und ich glaube,<lb/>
wir werden den na&#x0364;mlichen Philoktet gewahr werden,<lb/>
den Sophokles &#x017F;chuf, und Winkelmann anfu&#x0364;hrt,<lb/>
wie er ge&#x017F;chaffen i&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Mit Anfange des dritten Aufzuges u&#x0364;berra&#x017F;chet<lb/>
ihn der Schmerz; aber mit bru&#x0364;llendem Ge&#x017F;chrei?<lb/>
Nein: mit einem plo&#x0364;tzlichen Still&#x017F;chweigen, mit<lb/>
einer &#x017F;tummen Be&#x017F;tu&#x0364;rzung, und da die&#x017F;e &#x017F;ich end-<lb/>
lich lo&#x0364;&#x017F;en, mit einem holen verzognen &#x1F06; &#x1F06; &#x1F06;, das<lb/>
&#x017F;ich auch kaum vom Neoptolem will ho&#x0364;ren la&#x017F;&#x017F;en. <note place="foot" n="a)">&#x039D;&#x03B5;&#x03C9;. &#x1F11;&#x03C1;&#x03C0;&#x2019; &#x03B5;&#x1F30; &#x03D1;&#x03AD;&#x03BB;&#x03B5;&#x03B9;&#x03C2;. &#x03C4;&#x03AF; &#x03B4;&#x03AE; &#x03C0;&#x03BF;&#x03D1; &#x1F67;&#x03B4;&#x2019; &#x2019;&#x03B4;&#x03B5;&#x03BD; &#x1F40;&#x03C5;&#x03B4;&#x03B5;&#x03BD;&#x03CC;&#x03C2;<lb/>
&#x039B;&#x03CC;&#x03B3;<gap reason="fm" unit="chars"/> &#x03C3;&#x03B9;&#x03C9;&#x03C0;&#x1FB7;&#x03C2;, &#x03BA;&#x1F80;&#x03C0;&#x03BF;&#x03C0;&#x03BB;&#x03AE;&#x03BA;&#x03C4;&#x03C9;&#x03C2; &#x1F67;&#x03B4;&#x2019; &#x1F14;&#x03C7;&#x03B7;;<lb/>
&#x03A6;&#x03B9;&#x03BB;. &#x1F06; &#x1F06; &#x1F06;<lb/>
&#x039D;&#x03B5;&#x03C9;. &#x03C4;&#x03B9; &#x2019;&#x03C3;&#x03C4;&#x03B9;&#x03BD;;<lb/>
&#x03A6;&#x03B9;&#x03BB;. <gap reason="fm" unit="chars"/>&#x03B4;<gap reason="fm" unit="chars"/>&#x03BD; &#x03B4;&#x03B5;&#x03B9;&#x03BD;&#x03CC;&#x03BD;. &#x1F00;&#x03BB;&#x03BB;&#x2019; &#x1F30;&#x03B4; &#x03C9; &#x03C4;&#x03AD;&#x03BA;&#x03BD;&#x03BF;&#x03BD; &#x03BA;. &#x03C4;. &#x03BB;.</note><lb/>
Was i&#x017F;t dir? fa&#x0364;hrt die&#x017F;er auf. &#x201E;Nichts bo&#x0364;&#x017F;es,<lb/>
gehe nur, mein Sohn; antwortet Philoktet, und<lb/>
wie anders, als mit einem Ge&#x017F;icht voll Liebe, voll<lb/>
zuru&#x0364;ckhaltendem Heldenmuthe. So geht die Sce-<lb/>
ne des &#x017F;tummen Schmerzes fort: der beku&#x0364;mmerte,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">B</fw><fw place="bottom" type="catch">der</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[17/0023] Erſtes Waͤldchen. druck, den dieſes Stuͤck bei mir von lange her zu- ruͤck gelaſſen, derſelbe iſt, den W. will: naͤmlich der Eindruck eines Helden, der mitten im Schmerz ſei- nen Schmerz bekaͤmpft, ihn mit holem Seufzen zuruͤckhaͤlt, ſo lange, als er kann, und endlich, da ihn das Ach! das entſetzliche Weh! uͤbermannet, noch immer nur einzelne, nur verſtohlne Toͤne des Jammers ausſtoͤßt, und das uͤbrige in ſeine große Seele verbirgt. Laſſet uns Sophokles aufſchlagen, laſſet uns leſen, als ob wir ſaͤhen, und ich glaube, wir werden den naͤmlichen Philoktet gewahr werden, den Sophokles ſchuf, und Winkelmann anfuͤhrt, wie er geſchaffen iſt. Mit Anfange des dritten Aufzuges uͤberraſchet ihn der Schmerz; aber mit bruͤllendem Geſchrei? Nein: mit einem ploͤtzlichen Stillſchweigen, mit einer ſtummen Beſtuͤrzung, und da dieſe ſich end- lich loͤſen, mit einem holen verzognen ἆ ἆ ἆ, das ſich auch kaum vom Neoptolem will hoͤren laſſen. a) Was iſt dir? faͤhrt dieſer auf. „Nichts boͤſes, gehe nur, mein Sohn; antwortet Philoktet, und wie anders, als mit einem Geſicht voll Liebe, voll zuruͤckhaltendem Heldenmuthe. So geht die Sce- ne des ſtummen Schmerzes fort: der bekuͤmmerte, der a) Νεω. ἑρπ’ εἰ ϑέλεις. τί δή ποϑ ὧδ’ ’δεν ὀυδενός Λόγ_ σιωπᾷς, κᾀποπλήκτως ὧδ’ ἔχη; Φιλ. ἆ ἆ ἆ Νεω. τι ’στιν; Φιλ. _ δ_ ν δεινόν. ἀλλ’ ἰδ ω τέκνον κ. τ. λ. B

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische01_1769
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische01_1769/23
Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische01_1769/23>, abgerufen am 27.11.2024.