Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769.

Bild:
<< vorherige Seite

Kritische Wälder.
"nisse zurückbleiben. Und bleiben sie schon da zu-
"rück: welche Mühe, welche Anstrengung kostet
"es, ihre Eindrücke alle in eben der Ordnung so leb-
"haft zu erneuren, sie nur mit einer mäßigen Ge-
"schwindigkeit auf einmal zu überdenken, um zu
"einem etwanigen Begriffe des Ganzen zu gelan-
"gen! -- Solche Beschreibungen mögen sich,
"wenn man die Blume selbst in der Hand hat, sehr
"schön dagegen recitiren lassen; nur für sich allein
"sagen sie wenig oder nichts. --

So spricht Hr. L. zum Dichter, und warum
soll ich nicht eben so zum Kräuterlehrer sprechen, der
mich blos durch Worte lehren will? Jch sehe keine
Veränderung des Falles, eben denselben Gegenstand,
einen Körper, eben dasselbe Mittel, ihn zu schildern,
Rede, eben dieselbe Hinderung in diesem Mittel,
das Successive der Rede, Worte. Folglich muß
die Lection sich so gut auf ihn, als auf jeden Wort-
schilderer passen.

Folglich muß die Ursache: "Succession ver-
"hindert, Körper zu schildern, "da sie auf jede Rede
trifft, da jede Rede in solchem Falle nicht das De-
finitum, als ein Wort, verständlich, sondern als
eine Sache, anschauend machen will -- eigentlich
außer dem Gebiete der Poesie liegen.

Folglich auch in demselben kein eigentliches, we-
nigstens kein höchstes Gesetz geben können, sondern

nur

Kritiſche Waͤlder.
„niſſe zuruͤckbleiben. Und bleiben ſie ſchon da zu-
„ruͤck: welche Muͤhe, welche Anſtrengung koſtet
„es, ihre Eindruͤcke alle in eben der Ordnung ſo leb-
„haft zu erneuren, ſie nur mit einer maͤßigen Ge-
„ſchwindigkeit auf einmal zu uͤberdenken, um zu
„einem etwanigen Begriffe des Ganzen zu gelan-
„gen! — Solche Beſchreibungen moͤgen ſich,
„wenn man die Blume ſelbſt in der Hand hat, ſehr
„ſchoͤn dagegen recitiren laſſen; nur fuͤr ſich allein
„ſagen ſie wenig oder nichts. —

So ſpricht Hr. L. zum Dichter, und warum
ſoll ich nicht eben ſo zum Kraͤuterlehrer ſprechen, der
mich blos durch Worte lehren will? Jch ſehe keine
Veraͤnderung des Falles, eben denſelben Gegenſtand,
einen Koͤrper, eben daſſelbe Mittel, ihn zu ſchildern,
Rede, eben dieſelbe Hinderung in dieſem Mittel,
das Succeſſive der Rede, Worte. Folglich muß
die Lection ſich ſo gut auf ihn, als auf jeden Wort-
ſchilderer paſſen.

Folglich muß die Urſache: „Succeſſion ver-
„hindert, Koͤrper zu ſchildern, „da ſie auf jede Rede
trifft, da jede Rede in ſolchem Falle nicht das De-
finitum, als ein Wort, verſtaͤndlich, ſondern als
eine Sache, anſchauend machen will — eigentlich
außer dem Gebiete der Poeſie liegen.

Folglich auch in demſelben kein eigentliches, we-
nigſtens kein hoͤchſtes Geſetz geben koͤnnen, ſondern

nur
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0214" n="208"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Kriti&#x017F;che Wa&#x0364;lder.</hi></fw><lb/>
&#x201E;ni&#x017F;&#x017F;e zuru&#x0364;ckbleiben. Und bleiben &#x017F;ie &#x017F;chon da zu-<lb/>
&#x201E;ru&#x0364;ck: welche Mu&#x0364;he, welche An&#x017F;trengung ko&#x017F;tet<lb/>
&#x201E;es, ihre Eindru&#x0364;cke alle in eben der Ordnung &#x017F;o leb-<lb/>
&#x201E;haft zu erneuren, &#x017F;ie nur mit einer ma&#x0364;ßigen Ge-<lb/>
&#x201E;&#x017F;chwindigkeit auf einmal zu u&#x0364;berdenken, um zu<lb/>
&#x201E;einem etwanigen Begriffe des Ganzen zu gelan-<lb/>
&#x201E;gen! &#x2014; Solche Be&#x017F;chreibungen mo&#x0364;gen &#x017F;ich,<lb/>
&#x201E;wenn man die Blume &#x017F;elb&#x017F;t in der Hand hat, &#x017F;ehr<lb/>
&#x201E;&#x017F;cho&#x0364;n dagegen recitiren la&#x017F;&#x017F;en; nur fu&#x0364;r &#x017F;ich allein<lb/>
&#x201E;&#x017F;agen &#x017F;ie wenig oder nichts. &#x2014;</p><lb/>
          <p>So &#x017F;pricht Hr. L. zum Dichter, und warum<lb/>
&#x017F;oll ich nicht eben &#x017F;o zum Kra&#x0364;uterlehrer &#x017F;prechen, der<lb/>
mich blos durch Worte lehren will? Jch &#x017F;ehe keine<lb/>
Vera&#x0364;nderung des Falles, eben den&#x017F;elben Gegen&#x017F;tand,<lb/>
einen Ko&#x0364;rper, eben da&#x017F;&#x017F;elbe Mittel, ihn zu &#x017F;childern,<lb/>
Rede, eben die&#x017F;elbe Hinderung in die&#x017F;em Mittel,<lb/>
das Succe&#x017F;&#x017F;ive der Rede, Worte. Folglich muß<lb/>
die Lection &#x017F;ich &#x017F;o gut auf ihn, als auf jeden Wort-<lb/>
&#x017F;childerer pa&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
          <p>Folglich muß die Ur&#x017F;ache: &#x201E;Succe&#x017F;&#x017F;ion ver-<lb/>
&#x201E;hindert, Ko&#x0364;rper zu &#x017F;childern, &#x201E;da &#x017F;ie auf jede Rede<lb/>
trifft, da jede Rede in &#x017F;olchem Falle nicht das De-<lb/>
finitum, als ein Wort, ver&#x017F;ta&#x0364;ndlich, &#x017F;ondern als<lb/>
eine Sache, an&#x017F;chauend machen will &#x2014; eigentlich<lb/><hi rendition="#fr">außer</hi> dem Gebiete der Poe&#x017F;ie liegen.</p><lb/>
          <p>Folglich auch in dem&#x017F;elben kein eigentliches, we-<lb/>
nig&#x017F;tens kein ho&#x0364;ch&#x017F;tes Ge&#x017F;etz geben ko&#x0364;nnen, &#x017F;ondern<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">nur</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[208/0214] Kritiſche Waͤlder. „niſſe zuruͤckbleiben. Und bleiben ſie ſchon da zu- „ruͤck: welche Muͤhe, welche Anſtrengung koſtet „es, ihre Eindruͤcke alle in eben der Ordnung ſo leb- „haft zu erneuren, ſie nur mit einer maͤßigen Ge- „ſchwindigkeit auf einmal zu uͤberdenken, um zu „einem etwanigen Begriffe des Ganzen zu gelan- „gen! — Solche Beſchreibungen moͤgen ſich, „wenn man die Blume ſelbſt in der Hand hat, ſehr „ſchoͤn dagegen recitiren laſſen; nur fuͤr ſich allein „ſagen ſie wenig oder nichts. — So ſpricht Hr. L. zum Dichter, und warum ſoll ich nicht eben ſo zum Kraͤuterlehrer ſprechen, der mich blos durch Worte lehren will? Jch ſehe keine Veraͤnderung des Falles, eben denſelben Gegenſtand, einen Koͤrper, eben daſſelbe Mittel, ihn zu ſchildern, Rede, eben dieſelbe Hinderung in dieſem Mittel, das Succeſſive der Rede, Worte. Folglich muß die Lection ſich ſo gut auf ihn, als auf jeden Wort- ſchilderer paſſen. Folglich muß die Urſache: „Succeſſion ver- „hindert, Koͤrper zu ſchildern, „da ſie auf jede Rede trifft, da jede Rede in ſolchem Falle nicht das De- finitum, als ein Wort, verſtaͤndlich, ſondern als eine Sache, anſchauend machen will — eigentlich außer dem Gebiete der Poeſie liegen. Folglich auch in demſelben kein eigentliches, we- nigſtens kein hoͤchſtes Geſetz geben koͤnnen, ſondern nur

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische01_1769
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische01_1769/214
Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische01_1769/214>, abgerufen am 23.11.2024.