be Verhältniß zu ihrem Bezeichneten, was in der Malerei Figuren und Farben zu dem Jhrigen ha- ben. Können also zwei so verschiedne Dinge ein Drittes, einen ersten Grundsatz zum Unterschiede, zum Wesen beider Künste geben?
Die Zeichen der Malerei sind natürlich: die Ver- bindung der Zeichen mit der bezeichneten Sache ist in den Eigenschaften des Bezeichneten selbst gegrün- det. Die Zeichen der Poesie sind willkührlich: die artikulirten Töne haben mit der Sache nichts gemein, die sie ausdrücken sollen; sondern sind nur durch eine allgemeine Convention für Zeichen an- genommen. Jhre Natur ist also sich völlig un- gleich, und das Tertium comparationis schwindet.
Malerei wirkt ganz im Raume, neben einan- der, durch Zeichen, die die Sache natürlich zeigen. Poesie aber nicht so durch die Succession, wie je- ne durch den Raum. Auf der Folge ihrer arti- kulirten Töne beruhet das nicht, was in der Ma- lerei auf dem Nebeneinanderseyn der Theile beru- hete. Das Successive ihrer Zeichen ist nichts als conditio, sine qua non, und also blos einige Ein- schränkung: das Coexistiren der Zeichen in der Ma- lerei aber ist Natur der Kunst, und der Grund der malerischen Schönheit. Poesie, wenn sie freilich durch auf einander folgende Töne, das ist, Worte wirkt: so ist doch das Aufeinanderfolgen der Töne,
die
Kritiſche Waͤlder.
be Verhaͤltniß zu ihrem Bezeichneten, was in der Malerei Figuren und Farben zu dem Jhrigen ha- ben. Koͤnnen alſo zwei ſo verſchiedne Dinge ein Drittes, einen erſten Grundſatz zum Unterſchiede, zum Weſen beider Kuͤnſte geben?
Die Zeichen der Malerei ſind natuͤrlich: die Ver- bindung der Zeichen mit der bezeichneten Sache iſt in den Eigenſchaften des Bezeichneten ſelbſt gegruͤn- det. Die Zeichen der Poeſie ſind willkuͤhrlich: die artikulirten Toͤne haben mit der Sache nichts gemein, die ſie ausdruͤcken ſollen; ſondern ſind nur durch eine allgemeine Convention fuͤr Zeichen an- genommen. Jhre Natur iſt alſo ſich voͤllig un- gleich, und das Tertium comparationis ſchwindet.
Malerei wirkt ganz im Raume, neben einan- der, durch Zeichen, die die Sache natuͤrlich zeigen. Poeſie aber nicht ſo durch die Succeſſion, wie je- ne durch den Raum. Auf der Folge ihrer arti- kulirten Toͤne beruhet das nicht, was in der Ma- lerei auf dem Nebeneinanderſeyn der Theile beru- hete. Das Succeſſive ihrer Zeichen iſt nichts als conditio, ſine qua non, und alſo blos einige Ein- ſchraͤnkung: das Coexiſtiren der Zeichen in der Ma- lerei aber iſt Natur der Kunſt, und der Grund der maleriſchen Schoͤnheit. Poeſie, wenn ſie freilich durch auf einander folgende Toͤne, das iſt, Worte wirkt: ſo iſt doch das Aufeinanderfolgen der Toͤne,
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Kritiſche Waͤlder.
be Verhaͤltniß zu ihrem Bezeichneten, was in der
Malerei Figuren und Farben zu dem Jhrigen ha-
ben. Koͤnnen alſo zwei ſo verſchiedne Dinge ein
Drittes, einen erſten Grundſatz zum Unterſchiede,
zum Weſen beider Kuͤnſte geben?
Die Zeichen der Malerei ſind natuͤrlich: die Ver-
bindung der Zeichen mit der bezeichneten Sache iſt
in den Eigenſchaften des Bezeichneten ſelbſt gegruͤn-
det. Die Zeichen der Poeſie ſind willkuͤhrlich:
die artikulirten Toͤne haben mit der Sache nichts
gemein, die ſie ausdruͤcken ſollen; ſondern ſind nur
durch eine allgemeine Convention fuͤr Zeichen an-
genommen. Jhre Natur iſt alſo ſich voͤllig un-
gleich, und das Tertium comparationis ſchwindet.
Malerei wirkt ganz im Raume, neben einan-
der, durch Zeichen, die die Sache natuͤrlich zeigen.
Poeſie aber nicht ſo durch die Succeſſion, wie je-
ne durch den Raum. Auf der Folge ihrer arti-
kulirten Toͤne beruhet das nicht, was in der Ma-
lerei auf dem Nebeneinanderſeyn der Theile beru-
hete. Das Succeſſive ihrer Zeichen iſt nichts als
conditio, ſine qua non, und alſo blos einige Ein-
ſchraͤnkung: das Coexiſtiren der Zeichen in der Ma-
lerei aber iſt Natur der Kunſt, und der Grund der
maleriſchen Schoͤnheit. Poeſie, wenn ſie freilich
durch auf einander folgende Toͤne, das iſt, Worte
wirkt: ſo iſt doch das Aufeinanderfolgen der Toͤne,
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[Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische01_1769/204>, abgerufen am 28.07.2024.
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