[Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769.Kritische Wälder. "Göttinn nicht so offenbar eine körperliche Größe gab,"die alle natürliche Maaße weit überstiege." Bei seiner Venus wäre diese noch von üblerer Kurz! wo Größe und Stärke nicht das Haupt- Male- a) philommeides Aphrodite.
Kritiſche Waͤlder. „Goͤttinn nicht ſo offenbar eine koͤrperliche Groͤße gab,„die alle natuͤrliche Maaße weit uͤberſtiege.„ Bei ſeiner Venus waͤre dieſe noch von uͤblerer Kurz! wo Groͤße und Staͤrke nicht das Haupt- Male- a) φιλομμειδης Αφροδιτη.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0180" n="174"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Kritiſche Waͤlder.</hi></fw><lb/> „Goͤttinn nicht ſo offenbar eine koͤrperliche Groͤße gab,<lb/> „die alle natuͤrliche Maaße weit uͤberſtiege.„</p><lb/> <p>Bei ſeiner Venus waͤre dieſe noch von uͤblerer<lb/> Wirkung. Wenn ſie ihm die das ſuͤße Lachen lie-<lb/> bende Goͤttinn <note place="foot" n="a)">φιλομμειδης Αφροδιτη.</note> iſt: wo bleibt das ſuͤße Lachen im<lb/> Rieſengeſichte eines Weibes? Der Mund moͤge ſich<lb/> auch nur zum Laͤcheln verziehen wollen: die Lippen<lb/> ſich auch nur von fern dazu regen; der ſich verzie-<lb/> hende Mund duͤnkt mich Verzerrung, das ſich mel-<lb/> dende Lachen wird Grimaſſe, und das ausbrechende<lb/> Lachen ungeheures Gelaͤchter. Und wie ungereimt<lb/> duͤnkt mich alsdenn dieſe Rieſengeſtalt, wenn ſie<lb/> uͤber eine Ritzung ihrer Haut am Finger ſchreiet,<lb/> klaget, weinet, und den ganzen Himmel erreget!</p><lb/> <p>Kurz! wo <hi rendition="#fr">Groͤße und Staͤrke</hi> nicht das <hi rendition="#fr">Haupt-<lb/> ſtuͤck im Charakter einer Gottheit ausmacht,<lb/> da iſt die uͤbermenſchliche Natur auch nicht ein<lb/> nothwendiges Augenmerk?</hi> Wo der <hi rendition="#fr">Charak-<lb/> ter der Gottheit damit aber gar nicht beſtehen<lb/> kann,</hi> z. E. die hoͤchſte Vollkommenheit eines weib-<lb/> lichen Gliederbaues in der Juno, und die liebreizend-<lb/> ſte Schoͤnheit in der Tochter Dionens: <hi rendition="#fr">da bleibe<lb/> ſie unſern Augen weg.</hi> Dieſe koͤnnen, als menſch-<lb/> liche Augen, das Jdeal der hohen ſowohl als der<lb/> lieblichen Schoͤnheit eines menſchlich ſcheinenden Koͤr-<lb/> pers, nicht anders, als mit natuͤrlichem Maaße be-<lb/> ſtimmen: zwar mit dem Unterſchiede, daß in der<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Male-</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [174/0180]
Kritiſche Waͤlder.
„Goͤttinn nicht ſo offenbar eine koͤrperliche Groͤße gab,
„die alle natuͤrliche Maaße weit uͤberſtiege.„
Bei ſeiner Venus waͤre dieſe noch von uͤblerer
Wirkung. Wenn ſie ihm die das ſuͤße Lachen lie-
bende Goͤttinn a) iſt: wo bleibt das ſuͤße Lachen im
Rieſengeſichte eines Weibes? Der Mund moͤge ſich
auch nur zum Laͤcheln verziehen wollen: die Lippen
ſich auch nur von fern dazu regen; der ſich verzie-
hende Mund duͤnkt mich Verzerrung, das ſich mel-
dende Lachen wird Grimaſſe, und das ausbrechende
Lachen ungeheures Gelaͤchter. Und wie ungereimt
duͤnkt mich alsdenn dieſe Rieſengeſtalt, wenn ſie
uͤber eine Ritzung ihrer Haut am Finger ſchreiet,
klaget, weinet, und den ganzen Himmel erreget!
Kurz! wo Groͤße und Staͤrke nicht das Haupt-
ſtuͤck im Charakter einer Gottheit ausmacht,
da iſt die uͤbermenſchliche Natur auch nicht ein
nothwendiges Augenmerk? Wo der Charak-
ter der Gottheit damit aber gar nicht beſtehen
kann, z. E. die hoͤchſte Vollkommenheit eines weib-
lichen Gliederbaues in der Juno, und die liebreizend-
ſte Schoͤnheit in der Tochter Dionens: da bleibe
ſie unſern Augen weg. Dieſe koͤnnen, als menſch-
liche Augen, das Jdeal der hohen ſowohl als der
lieblichen Schoͤnheit eines menſchlich ſcheinenden Koͤr-
pers, nicht anders, als mit natuͤrlichem Maaße be-
ſtimmen: zwar mit dem Unterſchiede, daß in der
Male-
a) φιλομμειδης Αφροδιτη.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |