Winkelmann aber, ein Lehrer griechischer Kunst, der selbst in seiner Kunstgeschichte mehr darauf bedacht ist, eine historische Metaphysik des Schö- nen aus den Alten, absonderlich Griechen, zu lie- fern, als selbst auf eigentliche Geschichte. Und also auf eine Critik des Kunstgeschmacks noch uneigent- licher. Um den falschen Geschmack andrer Zeiten und Völker ist ihm nie als um Hauptzweck zu thun; den züchtigt er blos, wenn er neben oder unmittel- bar vor den Alten ihm zu Gesicht kommt: denn sonst, wie oft hätte er nach seiner vornehmen grie- chischen Jdee züchtigen, und seine Hand in Neben- streichen ermüden müssen! Und schreibt er also nicht als Kritikus des Kunstgeschmacks; wie weit entfern- ter vom Kunstrichter der Poesie? Als Künstler las er die Dichter, als Kunstlehrer brauchet er sie, und würde nicht so haben schreiben können, wenn er auch selbst die Dichter anders, und nicht als Künstler ge- lesen. Er, dem wie jenem griechischen Künstler, die Schönheit selbst, (aber die Kunstschönheit) er- schienen war; bezaubert von ihr, suchte er ihre Ge- stalt also mit Feuer in seinen Geist gemalt, bren- nend in seinem Auge, und sich in seinem Herzen re- gend -- diese Gestalt der Kunstschönheit, dieß Bild der Liebe, suchte er allenthalben, wollte sie auch im bloßen Abglanz sehen, vermuthete sie selbst, wie Kleists Amynt seine geliebte Lalage, auch in Fußtrit- ten, auch im Bilde des Wassers, auch im Hauche des
Ze-
Kritiſche Waͤlder.
Winkelmann aber, ein Lehrer griechiſcher Kunſt, der ſelbſt in ſeiner Kunſtgeſchichte mehr darauf bedacht iſt, eine hiſtoriſche Metaphyſik des Schoͤ- nen aus den Alten, abſonderlich Griechen, zu lie- fern, als ſelbſt auf eigentliche Geſchichte. Und alſo auf eine Critik des Kunſtgeſchmacks noch uneigent- licher. Um den falſchen Geſchmack andrer Zeiten und Voͤlker iſt ihm nie als um Hauptzweck zu thun; den zuͤchtigt er blos, wenn er neben oder unmittel- bar vor den Alten ihm zu Geſicht kommt: denn ſonſt, wie oft haͤtte er nach ſeiner vornehmen grie- chiſchen Jdee zuͤchtigen, und ſeine Hand in Neben- ſtreichen ermuͤden muͤſſen! Und ſchreibt er alſo nicht als Kritikus des Kunſtgeſchmacks; wie weit entfern- ter vom Kunſtrichter der Poeſie? Als Kuͤnſtler las er die Dichter, als Kunſtlehrer brauchet er ſie, und wuͤrde nicht ſo haben ſchreiben koͤnnen, wenn er auch ſelbſt die Dichter anders, und nicht als Kuͤnſtler ge- leſen. Er, dem wie jenem griechiſchen Kuͤnſtler, die Schoͤnheit ſelbſt, (aber die Kunſtſchoͤnheit) er- ſchienen war; bezaubert von ihr, ſuchte er ihre Ge- ſtalt alſo mit Feuer in ſeinen Geiſt gemalt, bren- nend in ſeinem Auge, und ſich in ſeinem Herzen re- gend — dieſe Geſtalt der Kunſtſchoͤnheit, dieß Bild der Liebe, ſuchte er allenthalben, wollte ſie auch im bloßen Abglanz ſehen, vermuthete ſie ſelbſt, wie Kleiſts Amynt ſeine geliebte Lalage, auch in Fußtrit- ten, auch im Bilde des Waſſers, auch im Hauche des
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Kritiſche Waͤlder.
Winkelmann aber, ein Lehrer griechiſcher Kunſt,
der ſelbſt in ſeiner Kunſtgeſchichte mehr darauf
bedacht iſt, eine hiſtoriſche Metaphyſik des Schoͤ-
nen aus den Alten, abſonderlich Griechen, zu lie-
fern, als ſelbſt auf eigentliche Geſchichte. Und alſo
auf eine Critik des Kunſtgeſchmacks noch uneigent-
licher. Um den falſchen Geſchmack andrer Zeiten
und Voͤlker iſt ihm nie als um Hauptzweck zu thun;
den zuͤchtigt er blos, wenn er neben oder unmittel-
bar vor den Alten ihm zu Geſicht kommt: denn
ſonſt, wie oft haͤtte er nach ſeiner vornehmen grie-
chiſchen Jdee zuͤchtigen, und ſeine Hand in Neben-
ſtreichen ermuͤden muͤſſen! Und ſchreibt er alſo nicht
als Kritikus des Kunſtgeſchmacks; wie weit entfern-
ter vom Kunſtrichter der Poeſie? Als Kuͤnſtler las
er die Dichter, als Kunſtlehrer brauchet er ſie, und
wuͤrde nicht ſo haben ſchreiben koͤnnen, wenn er auch
ſelbſt die Dichter anders, und nicht als Kuͤnſtler ge-
leſen. Er, dem wie jenem griechiſchen Kuͤnſtler,
die Schoͤnheit ſelbſt, (aber die Kunſtſchoͤnheit) er-
ſchienen war; bezaubert von ihr, ſuchte er ihre Ge-
ſtalt alſo mit Feuer in ſeinen Geiſt gemalt, bren-
nend in ſeinem Auge, und ſich in ſeinem Herzen re-
gend — dieſe Geſtalt der Kunſtſchoͤnheit, dieß
Bild der Liebe, ſuchte er allenthalben, wollte ſie auch
im bloßen Abglanz ſehen, vermuthete ſie ſelbſt, wie
Kleiſts Amynt ſeine geliebte Lalage, auch in Fußtrit-
ten, auch im Bilde des Waſſers, auch im Hauche des
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[Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische01_1769/18>, abgerufen am 16.07.2024.
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