[Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769.Erstes Wäldchen. derbaren Begebenheiten schlossen die Helden, daßhie oder da ein Gott seine Hand mit im Spiele ha- ben müsse. Sie fürchteten sich also, einem so verklei- deten Gotte zu begegnen, weil es bei ihnen eine Ma- xime geworden: "keiner lebt lange, der einem Got- "te widersteht, oder schadet." Mit griechischer Ehrlichkeit fragt ein Held den andern, so offen zu seyn, und zu sagen: ob er ein Gott, oder ein Sterb- licher sey? damit er wisse, mit wem er zu thun ha- be. Und mit himmlischer Offenherzigkeit entdeckt sich der Gott, wenn er ins Gedränge geräth, daß man ihm aus dem Wege weichen sollte. -- -- Kurzum! weil das ganze homerische Treffen voll verkleidet wandelnder Götter ist, weil der Dichter diese Hypothese wissentlich allen Helden und Strei- tern voraus setzt: freilich so gehört eine Minerva dazu, um diese eingekörperten Wesen vor andern Menschen kennbar zu machen. Aber nicht also, daß sie das Gesicht Diomedes erhöhen dorfte, um Unsterbliche zu sehen: denn die Unsterblichen glichen hier Menschen; sondern, um ihm diese und jene mordende Figur kennbar zu machen, daß sie etwas mehr sey, als wofür er sie ansehe, daß sie kein Mensch, sondern ein wandelnder Gott sey a), u. s. f. kurz! hier erscheinen die Götter in einem hindernden Vehikulum gleichsam, und in diesem Vehi- a) Iliad. E. 126. -- 130. L 3
Erſtes Waͤldchen. derbaren Begebenheiten ſchloſſen die Helden, daßhie oder da ein Gott ſeine Hand mit im Spiele ha- ben muͤſſe. Sie fuͤrchteten ſich alſo, einem ſo verklei- deten Gotte zu begegnen, weil es bei ihnen eine Ma- xime geworden: „keiner lebt lange, der einem Got- „te widerſteht, oder ſchadet.„ Mit griechiſcher Ehrlichkeit fragt ein Held den andern, ſo offen zu ſeyn, und zu ſagen: ob er ein Gott, oder ein Sterb- licher ſey? damit er wiſſe, mit wem er zu thun ha- be. Und mit himmliſcher Offenherzigkeit entdeckt ſich der Gott, wenn er ins Gedraͤnge geraͤth, daß man ihm aus dem Wege weichen ſollte. — — Kurzum! weil das ganze homeriſche Treffen voll verkleidet wandelnder Goͤtter iſt, weil der Dichter dieſe Hypotheſe wiſſentlich allen Helden und Strei- tern voraus ſetzt: freilich ſo gehoͤrt eine Minerva dazu, um dieſe eingekoͤrperten Weſen vor andern Menſchen kennbar zu machen. Aber nicht alſo, daß ſie das Geſicht Diomedes erhoͤhen dorfte, um Unſterbliche zu ſehen: denn die Unſterblichen glichen hier Menſchen; ſondern, um ihm dieſe und jene mordende Figur kennbar zu machen, daß ſie etwas mehr ſey, als wofuͤr er ſie anſehe, daß ſie kein Menſch, ſondern ein wandelnder Gott ſey a), u. ſ. f. kurz! hier erſcheinen die Goͤtter in einem hindernden Vehikulum gleichſam, und in dieſem Vehi- a) Iliad. Ε. 126. — 130. L 3
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Erſtes Waͤldchen.
derbaren Begebenheiten ſchloſſen die Helden, daß
hie oder da ein Gott ſeine Hand mit im Spiele ha-
ben muͤſſe. Sie fuͤrchteten ſich alſo, einem ſo verklei-
deten Gotte zu begegnen, weil es bei ihnen eine Ma-
xime geworden: „keiner lebt lange, der einem Got-
„te widerſteht, oder ſchadet.„ Mit griechiſcher
Ehrlichkeit fragt ein Held den andern, ſo offen zu
ſeyn, und zu ſagen: ob er ein Gott, oder ein Sterb-
licher ſey? damit er wiſſe, mit wem er zu thun ha-
be. Und mit himmliſcher Offenherzigkeit entdeckt
ſich der Gott, wenn er ins Gedraͤnge geraͤth, daß
man ihm aus dem Wege weichen ſollte. — —
Kurzum! weil das ganze homeriſche Treffen voll
verkleidet wandelnder Goͤtter iſt, weil der Dichter
dieſe Hypotheſe wiſſentlich allen Helden und Strei-
tern voraus ſetzt: freilich ſo gehoͤrt eine Minerva
dazu, um dieſe eingekoͤrperten Weſen vor andern
Menſchen kennbar zu machen. Aber nicht alſo,
daß ſie das Geſicht Diomedes erhoͤhen dorfte,
um Unſterbliche zu ſehen: denn die Unſterblichen
glichen hier Menſchen; ſondern, um ihm dieſe und
jene mordende Figur kennbar zu machen, daß ſie
etwas mehr ſey, als wofuͤr er ſie anſehe, daß ſie
kein Menſch, ſondern ein wandelnder Gott ſey a),
u. ſ. f. kurz! hier erſcheinen die Goͤtter in einem
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a) Iliad. Ε. 126. — 130.
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