ein Muster von praktischem Scharfsinne ist. Mit Verwunderung also muß jeder Leser, der Lessingen verstehet, die verwirrenden Widersprüche a) gelesen haben, die -- -- doch hierüber darf ich die Ver- theidigung des Verfassers selbst b) als bekannt vor- aus setzen.
Jch gehe also ins Detail. "Homer bearbei- "tet sichtbare und unsichtbare Wesen; dieser Unter- "schied kann die Materie nicht angeben, bei ihr ist "alles sichtbar; und auf einerlei Art sichtbar." c)
"Das Mittel also, dessen sich die Malerei bedie- "net, uns zu verstehen zu geben, daß in ihren Kom- "positionen dieses oder jenes als unsichtbar betrach- "tet werden müsse, ist eine dünne Wolke d).
"Diese Wolke scheint aus Homer selbst entlehnt "zu seyn e).
"Wer sieht aber nicht, daß bei dem Dichter "das Einhüllen in Nebel und Nacht weiter nichts, "als eine poetische Redensart, für unsichtbar "machen, seyn soll? Es hat mich daher jederzeit be- "fremdet, diesen poetischen Ausdruck realisirt, und "eine wirkliche Wolke in dem Gemälde angebracht "zu finden f)."
Mit
a) Klotz geschnittene Steine hin und wieder.
b) Hamb. Zeitung. 1765. No. 100.
c) Laok. p. 130.
d) p. 137.
e) p. 137.
f) p. 137. 138.
K 5
Erſtes Waͤldchen.
ein Muſter von praktiſchem Scharfſinne iſt. Mit Verwunderung alſo muß jeder Leſer, der Leſſingen verſtehet, die verwirrenden Widerſpruͤche a) geleſen haben, die — — doch hieruͤber darf ich die Ver- theidigung des Verfaſſers ſelbſt b) als bekannt vor- aus ſetzen.
Jch gehe alſo ins Detail. „Homer bearbei- „tet ſichtbare und unſichtbare Weſen; dieſer Unter- „ſchied kann die Materie nicht angeben, bei ihr iſt „alles ſichtbar; und auf einerlei Art ſichtbar.„ c)
„Das Mittel alſo, deſſen ſich die Malerei bedie- „net, uns zu verſtehen zu geben, daß in ihren Kom- „poſitionen dieſes oder jenes als unſichtbar betrach- „tet werden muͤſſe, iſt eine duͤnne Wolke d).
„Dieſe Wolke ſcheint aus Homer ſelbſt entlehnt „zu ſeyn e).
„Wer ſieht aber nicht, daß bei dem Dichter „das Einhuͤllen in Nebel und Nacht weiter nichts, „als eine poetiſche Redensart, fuͤr unſichtbar „machen, ſeyn ſoll? Es hat mich daher jederzeit be- „fremdet, dieſen poetiſchen Ausdruck realiſirt, und „eine wirkliche Wolke in dem Gemaͤlde angebracht „zu finden f).„
Mit
a) Klotz geſchnittene Steine hin und wieder.
b) Hamb. Zeitung. 1765. No. 100.
c) Laok. p. 130.
d) p. 137.
e) p. 137.
f) p. 137. 138.
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Erſtes Waͤldchen.
ein Muſter von praktiſchem Scharfſinne iſt. Mit
Verwunderung alſo muß jeder Leſer, der Leſſingen
verſtehet, die verwirrenden Widerſpruͤche a) geleſen
haben, die — — doch hieruͤber darf ich die Ver-
theidigung des Verfaſſers ſelbſt b) als bekannt vor-
aus ſetzen.
Jch gehe alſo ins Detail. „Homer bearbei-
„tet ſichtbare und unſichtbare Weſen; dieſer Unter-
„ſchied kann die Materie nicht angeben, bei ihr iſt
„alles ſichtbar; und auf einerlei Art ſichtbar.„ c)
„Das Mittel alſo, deſſen ſich die Malerei bedie-
„net, uns zu verſtehen zu geben, daß in ihren Kom-
„poſitionen dieſes oder jenes als unſichtbar betrach-
„tet werden muͤſſe, iſt eine duͤnne Wolke d).
„Dieſe Wolke ſcheint aus Homer ſelbſt entlehnt
„zu ſeyn e).
„Wer ſieht aber nicht, daß bei dem Dichter
„das Einhuͤllen in Nebel und Nacht weiter nichts,
„als eine poetiſche Redensart, fuͤr unſichtbar
„machen, ſeyn ſoll? Es hat mich daher jederzeit be-
„fremdet, dieſen poetiſchen Ausdruck realiſirt, und
„eine wirkliche Wolke in dem Gemaͤlde angebracht
„zu finden f).„
Mit
a) Klotz geſchnittene Steine hin und wieder.
b) Hamb. Zeitung. 1765. No. 100.
c) Laok. p. 130.
d) p. 137.
e) p. 137.
f) p. 137. 138.
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[Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische01_1769/159>, abgerufen am 20.02.2025.
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