[Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769.Erstes Wäldchen. gekleidet darf ich nicht erst mit dem Scholiasten, inder alten Gewohnheit suchen, daß die Priester der Treue ihr Opfer mit weißverhülltem Haupte brach- ten; ich habe sie näher: welche Kleidung käme in ei- nem Gemälde der Treue zu, als die Kleidung der Unschuld? Jst aber die Figur aus einem Gemälde: wie unnütz zerbricht sich Bentley den Kopf darüber, daß Hoffnung und Treue dem Glücke als Begleite- rinnen beigegeben werden? Wenn dieß Gemälde des Glücks in Anzo war: wie reich und schön wäre die Vorstellung desselben! Nun fängt Horaz an, über diese reiche Deu- Und a) Den größten hat Bentlei gefunden. S. seinen Ho- raz über diese Ode. K 2
Erſtes Waͤldchen. gekleidet darf ich nicht erſt mit dem Scholiaſten, inder alten Gewohnheit ſuchen, daß die Prieſter der Treue ihr Opfer mit weißverhuͤlltem Haupte brach- ten; ich habe ſie naͤher: welche Kleidung kaͤme in ei- nem Gemaͤlde der Treue zu, als die Kleidung der Unſchuld? Jſt aber die Figur aus einem Gemaͤlde: wie unnuͤtz zerbricht ſich Bentley den Kopf daruͤber, daß Hoffnung und Treue dem Gluͤcke als Begleite- rinnen beigegeben werden? Wenn dieß Gemaͤlde des Gluͤcks in Anzo war: wie reich und ſchoͤn waͤre die Vorſtellung deſſelben! Nun faͤngt Horaz an, uͤber dieſe reiche Deu- Und a) Den groͤßten hat Bentlei gefunden. S. ſeinen Ho- raz uͤber dieſe Ode. K 2
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0153" n="147"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Erſtes Waͤldchen.</hi></fw><lb/><hi rendition="#fr">gekleidet</hi> darf ich nicht erſt mit dem Scholiaſten, in<lb/> der alten Gewohnheit ſuchen, daß die Prieſter der<lb/> Treue ihr Opfer mit weißverhuͤlltem Haupte brach-<lb/> ten; ich habe ſie naͤher: welche Kleidung kaͤme in ei-<lb/> nem Gemaͤlde der Treue zu, als die Kleidung der<lb/> Unſchuld? Jſt aber die Figur aus einem Gemaͤlde:<lb/> wie unnuͤtz zerbricht ſich Bentley den Kopf daruͤber,<lb/> daß Hoffnung und Treue dem Gluͤcke als Begleite-<lb/> rinnen beigegeben werden? Wenn dieß Gemaͤlde<lb/> des Gluͤcks in Anzo war: wie reich und ſchoͤn waͤre<lb/> die Vorſtellung deſſelben!</p><lb/> <p>Nun faͤngt Horaz an, uͤber dieſe reiche Deu-<lb/> tung zu allegoriſiren: <hi rendition="#fr">Hoffnung</hi> und <hi rendition="#fr">Treue</hi> ſind<lb/> dem Gluͤcke zu Begleiterinnen gegeben — zu Be-<lb/> gleiterinnen? „ſo werden ſie daſſelbe auch immer<lb/> „begleiten! auch wenn es ſein Kleid aͤndern, auch<lb/> „wenn es die Pallaͤſte der Großen feindlich verlaſſen<lb/> „ſollte. Das iſt nur der treuloſe Poͤbel, das iſt<lb/> „nur eine meineidige Hure, die alsdenn zuruͤck tritt:<lb/> „nur hinterliſtige Freunde zerſtieben, wenn die<lb/> „Weinbecher leer ſind: ſo ſind nicht <hi rendition="#fr">Hoffnung</hi> und<lb/> „<hi rendition="#fr">Treue.</hi>„ Jch ſehe hier ſo wenig Widerſpruch <note place="foot" n="a)">Den groͤßten hat <hi rendition="#fr">Bentlei</hi> gefunden. S. ſeinen Ho-<lb/> raz uͤber dieſe Ode.</note>,<lb/> „als bei einer erbaulichen allegoriſchen Deutung,<lb/> und zwar einer Figur, die ihrem Namen nach dop-<lb/> pelſinnig iſt, nur immer ſeyn kann.</p><lb/> <fw place="bottom" type="sig">K 2</fw> <fw place="bottom" type="catch">Und</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [147/0153]
Erſtes Waͤldchen.
gekleidet darf ich nicht erſt mit dem Scholiaſten, in
der alten Gewohnheit ſuchen, daß die Prieſter der
Treue ihr Opfer mit weißverhuͤlltem Haupte brach-
ten; ich habe ſie naͤher: welche Kleidung kaͤme in ei-
nem Gemaͤlde der Treue zu, als die Kleidung der
Unſchuld? Jſt aber die Figur aus einem Gemaͤlde:
wie unnuͤtz zerbricht ſich Bentley den Kopf daruͤber,
daß Hoffnung und Treue dem Gluͤcke als Begleite-
rinnen beigegeben werden? Wenn dieß Gemaͤlde
des Gluͤcks in Anzo war: wie reich und ſchoͤn waͤre
die Vorſtellung deſſelben!
Nun faͤngt Horaz an, uͤber dieſe reiche Deu-
tung zu allegoriſiren: Hoffnung und Treue ſind
dem Gluͤcke zu Begleiterinnen gegeben — zu Be-
gleiterinnen? „ſo werden ſie daſſelbe auch immer
„begleiten! auch wenn es ſein Kleid aͤndern, auch
„wenn es die Pallaͤſte der Großen feindlich verlaſſen
„ſollte. Das iſt nur der treuloſe Poͤbel, das iſt
„nur eine meineidige Hure, die alsdenn zuruͤck tritt:
„nur hinterliſtige Freunde zerſtieben, wenn die
„Weinbecher leer ſind: ſo ſind nicht Hoffnung und
„Treue.„ Jch ſehe hier ſo wenig Widerſpruch a),
„als bei einer erbaulichen allegoriſchen Deutung,
und zwar einer Figur, die ihrem Namen nach dop-
pelſinnig iſt, nur immer ſeyn kann.
Und
a) Den groͤßten hat Bentlei gefunden. S. ſeinen Ho-
raz uͤber dieſe Ode.
K 2
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |