Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769.

Bild:
<< vorherige Seite

Kritische Wälder.
ter hierüber bis in den Mond reiset, und da sor-
tem fortunae
sucht; auch ist mir die Geßnersche Er-
klärung: daß die Stürme des Meers aus unbekann-
ten Ursachen kommen, nicht vorausgesehen werden
können, also dem Glücke zuzuschreiben sind, u. s. w.
zu allgemein; und endlich die Klotzische Erläute-
rung a), daß das Glück auf Münzen mit Kornäh-
ren, mit Schiffankern, und wer weiß womit mehr?
gebildet werde, ist für mich und für Horaz noch ge-
lehrter. Vermuthlich hat Horaz, der Einfältige!
an Nichts gedacht, als daß Antium, die Woh-
nung der Fortuna, Landrinwohner habe, und nahe
an der See liege: der Tempel des Glücks also von
beiderlei Art Leuten Besuch erhalte.

"Dich fürchtet der rauhe Dacier, und die flüch-
"tigen Scythen: Städte und Völker: und das
"wilde Latium: die Mütter der barbarischen Kö-
"nige, und die bepurpurten Tyrannen." Allein
genommen wäre nichts leichter zu erklären, als
diese Strophe: sie schilderte nämlich die Göttinn des
Glücks römisch gesinnet: vor ihr müssen die Feinde,
die Rebellen, die Tyrannen Roms zittern; aber nun
der Zusatz:

iniurioso ne pede proruas
stantem columnam; neu populus frequens
ad arma cessantes ad arma
concitet imperiumque frangat.

So
a) Vindic. Horat. p. 152.

Kritiſche Waͤlder.
ter hieruͤber bis in den Mond reiſet, und da ſor-
tem fortunae
ſucht; auch iſt mir die Geßnerſche Er-
klaͤrung: daß die Stuͤrme des Meers aus unbekann-
ten Urſachen kommen, nicht vorausgeſehen werden
koͤnnen, alſo dem Gluͤcke zuzuſchreiben ſind, u. ſ. w.
zu allgemein; und endlich die Klotziſche Erlaͤute-
rung a), daß das Gluͤck auf Muͤnzen mit Kornaͤh-
ren, mit Schiffankern, und wer weiß womit mehr?
gebildet werde, iſt fuͤr mich und fuͤr Horaz noch ge-
lehrter. Vermuthlich hat Horaz, der Einfaͤltige!
an Nichts gedacht, als daß Antium, die Woh-
nung der Fortuna, Landꝛinwohner habe, und nahe
an der See liege: der Tempel des Gluͤcks alſo von
beiderlei Art Leuten Beſuch erhalte.

„Dich fuͤrchtet der rauhe Dacier, und die fluͤch-
„tigen Scythen: Staͤdte und Voͤlker: und das
„wilde Latium: die Muͤtter der barbariſchen Koͤ-
„nige, und die bepurpurten Tyrannen.„ Allein
genommen waͤre nichts leichter zu erklaͤren, als
dieſe Strophe: ſie ſchilderte naͤmlich die Goͤttinn des
Gluͤcks roͤmiſch geſinnet: vor ihr muͤſſen die Feinde,
die Rebellen, die Tyrannen Roms zittern; aber nun
der Zuſatz:

iniurioſo ne pede proruas
ſtantem columnam; neu populus frequens
ad arma ceſſantes ad arma
concitet imperiumque frangat.

So
a) Vindic. Horat. p. 152.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0146" n="140"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Kriti&#x017F;che Wa&#x0364;lder.</hi></fw><lb/>
ter hieru&#x0364;ber bis in den Mond rei&#x017F;et, und da <hi rendition="#aq">&#x017F;or-<lb/>
tem fortunae</hi> &#x017F;ucht; auch i&#x017F;t mir die Geßner&#x017F;che Er-<lb/>
kla&#x0364;rung: daß die Stu&#x0364;rme des Meers aus unbekann-<lb/>
ten Ur&#x017F;achen kommen, nicht vorausge&#x017F;ehen werden<lb/>
ko&#x0364;nnen, al&#x017F;o dem Glu&#x0364;cke zuzu&#x017F;chreiben &#x017F;ind, u. &#x017F;. w.<lb/>
zu allgemein; und endlich die Klotzi&#x017F;che Erla&#x0364;ute-<lb/>
rung <note place="foot" n="a)"><hi rendition="#aq">Vindic. Horat. p.</hi> 152.</note>, daß das Glu&#x0364;ck auf Mu&#x0364;nzen mit Korna&#x0364;h-<lb/>
ren, mit Schiffankern, und wer weiß womit mehr?<lb/>
gebildet werde, i&#x017F;t fu&#x0364;r mich und fu&#x0364;r Horaz noch ge-<lb/>
lehrter. Vermuthlich hat <hi rendition="#fr">Horaz,</hi> der Einfa&#x0364;ltige!<lb/>
an Nichts gedacht, als daß <hi rendition="#fr">Antium,</hi> die Woh-<lb/>
nung der Fortuna, Land&#xA75B;inwohner habe, und nahe<lb/>
an der See liege: der Tempel des Glu&#x0364;cks al&#x017F;o von<lb/>
beiderlei Art Leuten Be&#x017F;uch erhalte.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Dich fu&#x0364;rchtet der rauhe Dacier, und die flu&#x0364;ch-<lb/>
&#x201E;tigen Scythen: Sta&#x0364;dte und Vo&#x0364;lker: und das<lb/>
&#x201E;wilde Latium: die Mu&#x0364;tter der barbari&#x017F;chen Ko&#x0364;-<lb/>
&#x201E;nige, und die bepurpurten Tyrannen.&#x201E; Allein<lb/>
genommen wa&#x0364;re nichts leichter zu erkla&#x0364;ren, als<lb/>
die&#x017F;e Strophe: &#x017F;ie &#x017F;childerte na&#x0364;mlich die Go&#x0364;ttinn des<lb/>
Glu&#x0364;cks ro&#x0364;mi&#x017F;ch ge&#x017F;innet: vor ihr mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en die Feinde,<lb/>
die Rebellen, die Tyrannen Roms zittern; aber nun<lb/>
der Zu&#x017F;atz:</p><lb/>
          <cit>
            <quote>
              <lg type="poem">
                <l> <hi rendition="#aq">iniurio&#x017F;o ne pede proruas</hi> </l><lb/>
                <l> <hi rendition="#aq">&#x017F;tantem columnam; neu populus frequens</hi> </l><lb/>
                <l> <hi rendition="#aq">ad arma ce&#x017F;&#x017F;antes ad arma</hi> </l><lb/>
                <l> <hi rendition="#aq">concitet imperiumque frangat.</hi> </l>
              </lg>
            </quote>
            <bibl/>
          </cit><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">So</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[140/0146] Kritiſche Waͤlder. ter hieruͤber bis in den Mond reiſet, und da ſor- tem fortunae ſucht; auch iſt mir die Geßnerſche Er- klaͤrung: daß die Stuͤrme des Meers aus unbekann- ten Urſachen kommen, nicht vorausgeſehen werden koͤnnen, alſo dem Gluͤcke zuzuſchreiben ſind, u. ſ. w. zu allgemein; und endlich die Klotziſche Erlaͤute- rung a), daß das Gluͤck auf Muͤnzen mit Kornaͤh- ren, mit Schiffankern, und wer weiß womit mehr? gebildet werde, iſt fuͤr mich und fuͤr Horaz noch ge- lehrter. Vermuthlich hat Horaz, der Einfaͤltige! an Nichts gedacht, als daß Antium, die Woh- nung der Fortuna, Landꝛinwohner habe, und nahe an der See liege: der Tempel des Gluͤcks alſo von beiderlei Art Leuten Beſuch erhalte. „Dich fuͤrchtet der rauhe Dacier, und die fluͤch- „tigen Scythen: Staͤdte und Voͤlker: und das „wilde Latium: die Muͤtter der barbariſchen Koͤ- „nige, und die bepurpurten Tyrannen.„ Allein genommen waͤre nichts leichter zu erklaͤren, als dieſe Strophe: ſie ſchilderte naͤmlich die Goͤttinn des Gluͤcks roͤmiſch geſinnet: vor ihr muͤſſen die Feinde, die Rebellen, die Tyrannen Roms zittern; aber nun der Zuſatz: iniurioſo ne pede proruas ſtantem columnam; neu populus frequens ad arma ceſſantes ad arma concitet imperiumque frangat. So a) Vindic. Horat. p. 152.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische01_1769
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische01_1769/146
Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische01_1769/146>, abgerufen am 23.11.2024.