Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 10. Riga, 1797.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

Dinge selbst: denn übel wäre es mit der
Vernunft bestellt, wenn sie nicht allenthal-
ben Vernunft, und das Allgemeingute
nicht auch das Allgemeinnützlichste wäre.
Die Magnetnadel unsrer Bestrebungen
sucht diesen Pol; nach allen Irren und
Schwankungen wird und muß sie ihn fin-
den. --

6. Daß also niemand aus dem
Ergrauen Europa's den Verfall
und Tod unsres ganzen Ge-
schlechts augurire! Was schadete es
diesem, wenn ein ausgearteter Theil von
ihm unterginge? wenn einige verdorrete
Zweige und Blätter des Saftreichen Bau-
mes abfielen? Andre treten in der Ver-
dorreten Stelle und blühen frischer empor.
Warum sollte der westliche Winkel unsres
Nord-Hemisphärs die Cultur allein be-
sitzen? und besitzet er sie allein?

Dinge ſelbſt: denn uͤbel waͤre es mit der
Vernunft beſtellt, wenn ſie nicht allenthal-
ben Vernunft, und das Allgemeingute
nicht auch das Allgemeinnuͤtzlichſte waͤre.
Die Magnetnadel unſrer Beſtrebungen
ſucht dieſen Pol; nach allen Irren und
Schwankungen wird und muß ſie ihn fin-
den. —

6. Daß alſo niemand aus dem
Ergrauen Europa's den Verfall
und Tod unſres ganzen Ge-
ſchlechts augurire! Was ſchadete es
dieſem, wenn ein ausgearteter Theil von
ihm unterginge? wenn einige verdorrete
Zweige und Blaͤtter des Saftreichen Bau-
mes abfielen? Andre treten in der Ver-
dorreten Stelle und bluͤhen friſcher empor.
Warum ſollte der weſtliche Winkel unſres
Nord-Hemiſphaͤrs die Cultur allein be-
ſitzen? und beſitzet er ſie allein?

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0190" n="183"/>
Dinge &#x017F;elb&#x017F;t: denn u&#x0364;bel wa&#x0364;re es mit der<lb/>
Vernunft be&#x017F;tellt, wenn &#x017F;ie nicht allenthal-<lb/>
ben Vernunft, und das Allgemeingute<lb/>
nicht auch das Allgemeinnu&#x0364;tzlich&#x017F;te wa&#x0364;re.<lb/>
Die Magnetnadel un&#x017F;rer Be&#x017F;trebungen<lb/>
&#x017F;ucht die&#x017F;en Pol; nach allen Irren und<lb/>
Schwankungen wird und muß &#x017F;ie ihn fin-<lb/>
den. &#x2014;</p><lb/>
        <p>6. <hi rendition="#g">Daß al&#x017F;o niemand aus dem<lb/>
Ergrauen Europa</hi>'s <hi rendition="#g">den Verfall<lb/>
und Tod un&#x017F;res ganzen Ge</hi>-<lb/><hi rendition="#g">&#x017F;chlechts augurire</hi>! Was &#x017F;chadete es<lb/>
die&#x017F;em, wenn ein ausgearteter Theil von<lb/>
ihm unterginge? wenn einige verdorrete<lb/>
Zweige und Bla&#x0364;tter des Saftreichen Bau-<lb/>
mes abfielen? Andre treten in der Ver-<lb/>
dorreten Stelle und blu&#x0364;hen fri&#x017F;cher empor.<lb/>
Warum &#x017F;ollte der we&#x017F;tliche Winkel un&#x017F;res<lb/>
Nord-Hemi&#x017F;pha&#x0364;rs die Cultur allein be-<lb/>
&#x017F;itzen? und be&#x017F;itzet er &#x017F;ie allein?</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[183/0190] Dinge ſelbſt: denn uͤbel waͤre es mit der Vernunft beſtellt, wenn ſie nicht allenthal- ben Vernunft, und das Allgemeingute nicht auch das Allgemeinnuͤtzlichſte waͤre. Die Magnetnadel unſrer Beſtrebungen ſucht dieſen Pol; nach allen Irren und Schwankungen wird und muß ſie ihn fin- den. — 6. Daß alſo niemand aus dem Ergrauen Europa's den Verfall und Tod unſres ganzen Ge- ſchlechts augurire! Was ſchadete es dieſem, wenn ein ausgearteter Theil von ihm unterginge? wenn einige verdorrete Zweige und Blaͤtter des Saftreichen Bau- mes abfielen? Andre treten in der Ver- dorreten Stelle und bluͤhen friſcher empor. Warum ſollte der weſtliche Winkel unſres Nord-Hemiſphaͤrs die Cultur allein be- ſitzen? und beſitzet er ſie allein?

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet10_1797
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet10_1797/190
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 10. Riga, 1797, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet10_1797/190>, abgerufen am 16.02.2025.