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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 10. Riga, 1797.

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Fieber-Phantasieen lesen; reifere Gemü-
ther lesen sie jetzt schon also.

Also bleibt der Geschichte einzig und
ewig nichts, als der Geist ihres ältesten
Schreibers, Herodots, der unan-
gestrengte milde Sinn der Menschheit.
Unbefangen sieht dieser alle Völker und
zeichnet jedes auf seiner Stelle, nach
seinen Sitten und Gebräuchen. Unbe-
fangen erzählt er die Begebenheiten, und
bemerkt, wie allenthalben nur Mäßi-
gung die Völker glücklich mache und je-
der Uebermuth seine Nemesis hinter sich
habe. Dies Maas der Nemesis, nach
feineren oder größeren Verhältnissen ange-
wandt, ist der einzige und ewige Maas-
stab aller Menschengeschichte.

"Was du nicht willst, das dir geschehe,
das thue keinem andern;" die Rache
kommt, ja sie ist da, bei jeder Verirrung,

Fieber-Phantaſieen leſen; reifere Gemuͤ-
ther leſen ſie jetzt ſchon alſo.

Alſo bleibt der Geſchichte einzig und
ewig nichts, als der Geiſt ihres aͤlteſten
Schreibers, Herodots, der unan-
geſtrengte milde Sinn der Menſchheit.
Unbefangen ſieht dieſer alle Voͤlker und
zeichnet jedes auf ſeiner Stelle, nach
ſeinen Sitten und Gebraͤuchen. Unbe-
fangen erzaͤhlt er die Begebenheiten, und
bemerkt, wie allenthalben nur Maͤßi-
gung die Voͤlker gluͤcklich mache und je-
der Uebermuth ſeine Nemeſis hinter ſich
habe. Dies Maas der Nemeſis, nach
feineren oder groͤßeren Verhaͤltniſſen ange-
wandt, iſt der einzige und ewige Maas-
ſtab aller Menſchengeſchichte.

„Was du nicht willſt, das dir geſchehe,
das thue keinem andern;“ die Rache
kommt, ja ſie iſt da, bei jeder Verirrung,

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[166/0173] Fieber-Phantaſieen leſen; reifere Gemuͤ- ther leſen ſie jetzt ſchon alſo. Alſo bleibt der Geſchichte einzig und ewig nichts, als der Geiſt ihres aͤlteſten Schreibers, Herodots, der unan- geſtrengte milde Sinn der Menſchheit. Unbefangen ſieht dieſer alle Voͤlker und zeichnet jedes auf ſeiner Stelle, nach ſeinen Sitten und Gebraͤuchen. Unbe- fangen erzaͤhlt er die Begebenheiten, und bemerkt, wie allenthalben nur Maͤßi- gung die Voͤlker gluͤcklich mache und je- der Uebermuth ſeine Nemeſis hinter ſich habe. Dies Maas der Nemeſis, nach feineren oder groͤßeren Verhaͤltniſſen ange- wandt, iſt der einzige und ewige Maas- ſtab aller Menſchengeſchichte. „Was du nicht willſt, das dir geſchehe, das thue keinem andern;“ die Rache kommt, ja ſie iſt da, bei jeder Verirrung,

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 10. Riga, 1797, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet10_1797/173>, abgerufen am 22.11.2024.