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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 9. Riga, 1797.

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22.

"Kommt es denn bei unsern Handlungen
blos auf die Vielheit der Bewegungsgründe
an? Beruhet nicht weit mehr auf der In-
tension derselben? Kann nicht ein einziger
Bewegungsgrund, dem ich lange und ernstlich

ceen und bemäntelt die Fehler. -- Ueber-
haupt ist das Gleichniß von der Welt, wie
sie der Philosoph betrachtet, auf Werke der
Menschen, zumal auf Kunstwerke unanwend-
bar. Ist das Ganze schön: so kann die
strengste Zergliederung ihm keinen Nachtheil
bringen: denn ein lebendiges Ganze bestehet
nur in Theilen; und daß bei diesem schönen
Ganzen die mangelhaften Theile mit strenger
Unpartheilichkeit bemerkt werden, ist um so
nothwendiger, weil in ihnen das Fehlerhafte
und Uebertriebene gewöhnlich zuerst Nachah-
mer findet. Zwiefaches Maas und Gewicht
ist wie allenthalben so auch in der Kritik der
Gerechtigkeit ein Gräuel und der Sache des
Ganzen äußerst verderblich.
A. d. H.

22.

„Kommt es denn bei unſern Handlungen
blos auf die Vielheit der Bewegungsgruͤnde
an? Beruhet nicht weit mehr auf der In-
tenſion derſelben? Kann nicht ein einziger
Bewegungsgrund, dem ich lange und ernſtlich

ceen und bemaͤntelt die Fehler. — Ueber-
haupt iſt das Gleichniß von der Welt, wie
ſie der Philoſoph betrachtet, auf Werke der
Menſchen, zumal auf Kunſtwerke unanwend-
bar. Iſt das Ganze ſchoͤn: ſo kann die
ſtrengſte Zergliederung ihm keinen Nachtheil
bringen: denn ein lebendiges Ganze beſtehet
nur in Theilen; und daß bei dieſem ſchoͤnen
Ganzen die mangelhaften Theile mit ſtrenger
Unpartheilichkeit bemerkt werden, iſt um ſo
nothwendiger, weil in ihnen das Fehlerhafte
und Uebertriebene gewoͤhnlich zuerſt Nachah-
mer findet. Zwiefaches Maas und Gewicht
iſt wie allenthalben ſo auch in der Kritik der
Gerechtigkeit ein Graͤuel und der Sache des
Ganzen aͤußerſt verderblich.
A. d. H.
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[84/0091] 22. „Kommt es denn bei unſern Handlungen blos auf die Vielheit der Bewegungsgruͤnde an? Beruhet nicht weit mehr auf der In- tenſion derſelben? Kann nicht ein einziger Bewegungsgrund, dem ich lange und ernſtlich *) *) ceen und bemaͤntelt die Fehler. — Ueber- haupt iſt das Gleichniß von der Welt, wie ſie der Philoſoph betrachtet, auf Werke der Menſchen, zumal auf Kunſtwerke unanwend- bar. Iſt das Ganze ſchoͤn: ſo kann die ſtrengſte Zergliederung ihm keinen Nachtheil bringen: denn ein lebendiges Ganze beſtehet nur in Theilen; und daß bei dieſem ſchoͤnen Ganzen die mangelhaften Theile mit ſtrenger Unpartheilichkeit bemerkt werden, iſt um ſo nothwendiger, weil in ihnen das Fehlerhafte und Uebertriebene gewoͤhnlich zuerſt Nachah- mer findet. Zwiefaches Maas und Gewicht iſt wie allenthalben ſo auch in der Kritik der Gerechtigkeit ein Graͤuel und der Sache des Ganzen aͤußerſt verderblich. A. d. H.

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 9. Riga, 1797, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet09_1797/91>, abgerufen am 23.11.2024.