eine anständige Dichtung, wahre Sitten, eine männliche Moral, eine feine Satyre, eine leb- hafte Unterredung, und ich weiß nicht, was sonst noch mehr verlangen? -- Und ich weiß überhaupt nicht, was ich von der Satyre sa- gen soll, die sich an ganze Stände wagt. Doch Galle, Ungerechtigkeit und Ausschweifung ha- ben nie ein Buch um die Leser gebracht, wohl aber manchem Buche zu Lesern verholfen." *)
14.
"Den schönen Wissenschaften sollte nur ein Theil unsrer Jugend gehören; wir haben uns in wichtigern Dingen zu üben, ehe wir sterben. Ein Alter, der seine ganze Lebenszeit über nichts als gereimt hat, und ein Alter, der sei- ne ganze Lebenszeit über nichts gethan, als daß er seinen Athem in ein Holz mit Löchern gelassen: von solchen Alten zweifle ich sehr, ob sie ihre Bestimmung erreicht haben." **)
*) Schriften Th. 8. S. 76. 77.
**) Th. 28. S. 245.
eine anſtaͤndige Dichtung, wahre Sitten, eine maͤnnliche Moral, eine feine Satyre, eine leb- hafte Unterredung, und ich weiß nicht, was ſonſt noch mehr verlangen? — Und ich weiß uͤberhaupt nicht, was ich von der Satyre ſa- gen ſoll, die ſich an ganze Staͤnde wagt. Doch Galle, Ungerechtigkeit und Ausſchweifung ha- ben nie ein Buch um die Leſer gebracht, wohl aber manchem Buche zu Leſern verholfen.“ *)
14.
„Den ſchoͤnen Wiſſenſchaften ſollte nur ein Theil unſrer Jugend gehoͤren; wir haben uns in wichtigern Dingen zu uͤben, ehe wir ſterben. Ein Alter, der ſeine ganze Lebenszeit uͤber nichts als gereimt hat, und ein Alter, der ſei- ne ganze Lebenszeit uͤber nichts gethan, als daß er ſeinen Athem in ein Holz mit Loͤchern gelaſſen: von ſolchen Alten zweifle ich ſehr, ob ſie ihre Beſtimmung erreicht haben.“ **)
*) Schriften Th. 8. S. 76. 77.
**) Th. 28. S. 245.
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eine anſtaͤndige Dichtung, wahre Sitten, eine
maͤnnliche Moral, eine feine Satyre, eine leb-
hafte Unterredung, und ich weiß nicht, was
ſonſt noch mehr verlangen? — Und ich weiß
uͤberhaupt nicht, was ich von der Satyre ſa-
gen ſoll, die ſich an ganze Staͤnde wagt. Doch
Galle, Ungerechtigkeit und Ausſchweifung ha-
ben nie ein Buch um die Leſer gebracht, wohl
aber manchem Buche zu Leſern verholfen.“ *)
14.
„Den ſchoͤnen Wiſſenſchaften ſollte nur ein
Theil unſrer Jugend gehoͤren; wir haben uns
in wichtigern Dingen zu uͤben, ehe wir ſterben.
Ein Alter, der ſeine ganze Lebenszeit uͤber
nichts als gereimt hat, und ein Alter, der ſei-
ne ganze Lebenszeit uͤber nichts gethan, als
daß er ſeinen Athem in ein Holz mit Loͤchern
gelaſſen: von ſolchen Alten zweifle ich ſehr, ob
ſie ihre Beſtimmung erreicht haben.“ **)
*) Schriften Th. 8. S. 76. 77.
**) Th. 28. S. 245.
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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 9. Riga, 1797, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet09_1797/83>, abgerufen am 16.02.2025.
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