Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 9. Riga, 1797.

Bild:
<< vorherige Seite

stolz seyn könnte! Was herrscht auf unsern
gereinigten Theatern? Ist es nicht lauter
ausländischer Witz, den, so oft wir ihn bewun-
dern, eine Satyre über den unsrigen macht?
Aber wie kommt es, daß nur hier die Deut-
sche Nacheiferung zurückbleibt? Sollte wohl
die Art selbst, wie man unsre Bühne hat ver-
bessern wollen, daran Schuld seyn? Sollte
wohl die Menge von Meisterstücken, die man
auf einmal, besonders den Franzosen abborgte,
unsre ursprünglichen Dichter niedergeschlagen
haben? Man zeigte ihnen auf einmal, so zu
reden, alles erschöpft und setzte sie auf einmal
in die Nothwendigkeit, nicht blos etwas Gu-
tes sondern etwas Besseres zu machen. Die-
ser Sprung war ohne Zweifel zu arg; die
Kunstrichter konnten ihn wohl befehlen, aber
die, die ihn wagen sollten, blieben aus." *)

*) Geschrieben im Jahr 1754. Sämmtl. Schr.
Th. 8. S. 47.

ſtolz ſeyn koͤnnte! Was herrſcht auf unſern
gereinigten Theatern? Iſt es nicht lauter
auslaͤndiſcher Witz, den, ſo oft wir ihn bewun-
dern, eine Satyre uͤber den unſrigen macht?
Aber wie kommt es, daß nur hier die Deut-
ſche Nacheiferung zuruͤckbleibt? Sollte wohl
die Art ſelbſt, wie man unſre Buͤhne hat ver-
beſſern wollen, daran Schuld ſeyn? Sollte
wohl die Menge von Meiſterſtuͤcken, die man
auf einmal, beſonders den Franzoſen abborgte,
unſre urſpruͤnglichen Dichter niedergeſchlagen
haben? Man zeigte ihnen auf einmal, ſo zu
reden, alles erſchoͤpft und ſetzte ſie auf einmal
in die Nothwendigkeit, nicht blos etwas Gu-
tes ſondern etwas Beſſeres zu machen. Die-
ſer Sprung war ohne Zweifel zu arg; die
Kunſtrichter konnten ihn wohl befehlen, aber
die, die ihn wagen ſollten, blieben aus.“ *)

*) Geſchrieben im Jahr 1754. Saͤmmtl. Schr.
Th. 8. S. 47.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0078" n="71"/>
&#x017F;tolz &#x017F;eyn ko&#x0364;nnte! Was herr&#x017F;cht auf un&#x017F;ern<lb/>
gereinigten Theatern? I&#x017F;t es nicht lauter<lb/>
ausla&#x0364;ndi&#x017F;cher Witz, den, &#x017F;o oft wir ihn bewun-<lb/>
dern, eine Satyre u&#x0364;ber den un&#x017F;rigen macht?<lb/>
Aber wie kommt es, daß nur hier die Deut-<lb/>
&#x017F;che Nacheiferung zuru&#x0364;ckbleibt? Sollte wohl<lb/>
die Art &#x017F;elb&#x017F;t, wie man un&#x017F;re Bu&#x0364;hne hat ver-<lb/>
be&#x017F;&#x017F;ern wollen, daran Schuld &#x017F;eyn? Sollte<lb/>
wohl die Menge von Mei&#x017F;ter&#x017F;tu&#x0364;cken, die man<lb/>
auf einmal, be&#x017F;onders den Franzo&#x017F;en abborgte,<lb/>
un&#x017F;re ur&#x017F;pru&#x0364;nglichen Dichter niederge&#x017F;chlagen<lb/>
haben? Man zeigte ihnen auf einmal, &#x017F;o zu<lb/>
reden, alles er&#x017F;cho&#x0364;pft und &#x017F;etzte &#x017F;ie auf einmal<lb/>
in die Nothwendigkeit, nicht blos etwas Gu-<lb/>
tes &#x017F;ondern etwas Be&#x017F;&#x017F;eres zu machen. Die-<lb/>
&#x017F;er Sprung war ohne Zweifel zu arg; die<lb/>
Kun&#x017F;trichter konnten ihn wohl befehlen, aber<lb/>
die, die ihn wagen &#x017F;ollten, blieben aus.&#x201C; <note place="foot" n="*)">Ge&#x017F;chrieben im Jahr 1754. Sa&#x0364;mmtl. Schr.<lb/>
Th. 8. S. 47.</note></p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[71/0078] ſtolz ſeyn koͤnnte! Was herrſcht auf unſern gereinigten Theatern? Iſt es nicht lauter auslaͤndiſcher Witz, den, ſo oft wir ihn bewun- dern, eine Satyre uͤber den unſrigen macht? Aber wie kommt es, daß nur hier die Deut- ſche Nacheiferung zuruͤckbleibt? Sollte wohl die Art ſelbſt, wie man unſre Buͤhne hat ver- beſſern wollen, daran Schuld ſeyn? Sollte wohl die Menge von Meiſterſtuͤcken, die man auf einmal, beſonders den Franzoſen abborgte, unſre urſpruͤnglichen Dichter niedergeſchlagen haben? Man zeigte ihnen auf einmal, ſo zu reden, alles erſchoͤpft und ſetzte ſie auf einmal in die Nothwendigkeit, nicht blos etwas Gu- tes ſondern etwas Beſſeres zu machen. Die- ſer Sprung war ohne Zweifel zu arg; die Kunſtrichter konnten ihn wohl befehlen, aber die, die ihn wagen ſollten, blieben aus.“ *) *) Geſchrieben im Jahr 1754. Saͤmmtl. Schr. Th. 8. S. 47.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet09_1797
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet09_1797/78
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 9. Riga, 1797, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet09_1797/78>, abgerufen am 24.11.2024.