Versification, der Ton ihrer Contes a rire, ihre tausend Uebereinkommnisse über das Schickliche und Unschickliche im Ausdruck, (welches alles sie Regeln des Ge- schmacks zu nennen belieben;) wem ist es fremder als der Deutschen Sprache und Denkart? Viel leichter können wir uns unter Griechen und Römer, unter Spa- nier, Italiäner und Engländer versetzen, als in ihren Kreis anmuthiger Frivoli- täten und Wortspiele. Geschieht dies end- lich, zwingen wir uns von Jugend an die- se Form auf, gelangen wir mit saurer Mühe zu der Vortreflichkeit, wozu wenige gelangen, Französisch zu denken, zu scher- zen und zu amphibolisiren; was haben wir gewonnen? Daß der Franzose den Deut- schen Ungeschmack, die Tudeske Muse, lobend verhöhnet, und wir unsre natürliche Denkart einbüßten. Schwerlich giebt es
Verſification, der Ton ihrer Contes à rire, ihre tauſend Uebereinkommniſſe uͤber das Schickliche und Unſchickliche im Ausdruck, (welches alles ſie Regeln des Ge- ſchmacks zu nennen belieben;) wem iſt es fremder als der Deutſchen Sprache und Denkart? Viel leichter koͤnnen wir uns unter Griechen und Roͤmer, unter Spa- nier, Italiaͤner und Englaͤnder verſetzen, als in ihren Kreis anmuthiger Frivoli- taͤten und Wortſpiele. Geſchieht dies end- lich, zwingen wir uns von Jugend an die- ſe Form auf, gelangen wir mit ſaurer Muͤhe zu der Vortreflichkeit, wozu wenige gelangen, Franzoͤſiſch zu denken, zu ſcher- zen und zu amphiboliſiren; was haben wir gewonnen? Daß der Franzoſe den Deut- ſchen Ungeſchmack, die Tudeſke Muſe, lobend verhoͤhnet, und wir unſre natuͤrliche Denkart einbuͤßten. Schwerlich giebt es
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0057"n="50"/>
Verſification, der Ton ihrer <hirendition="#aq">Contes à rire,</hi><lb/>
ihre tauſend Uebereinkommniſſe uͤber das<lb/>
Schickliche und Unſchickliche im Ausdruck,<lb/>
(welches alles ſie <hirendition="#g">Regeln des Ge</hi>-<lb/><hirendition="#g">ſchmacks</hi> zu nennen belieben;) wem iſt<lb/>
es fremder als der Deutſchen Sprache und<lb/>
Denkart? Viel leichter koͤnnen wir uns<lb/>
unter Griechen und Roͤmer, unter Spa-<lb/>
nier, Italiaͤner und Englaͤnder verſetzen,<lb/>
als in <hirendition="#g">ihren</hi> Kreis anmuthiger Frivoli-<lb/>
taͤten und Wortſpiele. Geſchieht dies end-<lb/>
lich, zwingen wir uns von Jugend an die-<lb/>ſe Form auf, gelangen wir mit ſaurer<lb/>
Muͤhe zu der Vortreflichkeit, wozu wenige<lb/>
gelangen, Franzoͤſiſch zu denken, zu ſcher-<lb/>
zen und zu amphiboliſiren; was haben wir<lb/>
gewonnen? Daß der Franzoſe den Deut-<lb/>ſchen <hirendition="#g">Ungeſchmack</hi>, die Tudeſke Muſe,<lb/>
lobend verhoͤhnet, und wir unſre natuͤrliche<lb/>
Denkart einbuͤßten. Schwerlich giebt es<lb/></p></div></body></text></TEI>
[50/0057]
Verſification, der Ton ihrer Contes à rire,
ihre tauſend Uebereinkommniſſe uͤber das
Schickliche und Unſchickliche im Ausdruck,
(welches alles ſie Regeln des Ge-
ſchmacks zu nennen belieben;) wem iſt
es fremder als der Deutſchen Sprache und
Denkart? Viel leichter koͤnnen wir uns
unter Griechen und Roͤmer, unter Spa-
nier, Italiaͤner und Englaͤnder verſetzen,
als in ihren Kreis anmuthiger Frivoli-
taͤten und Wortſpiele. Geſchieht dies end-
lich, zwingen wir uns von Jugend an die-
ſe Form auf, gelangen wir mit ſaurer
Muͤhe zu der Vortreflichkeit, wozu wenige
gelangen, Franzoͤſiſch zu denken, zu ſcher-
zen und zu amphiboliſiren; was haben wir
gewonnen? Daß der Franzoſe den Deut-
ſchen Ungeſchmack, die Tudeſke Muſe,
lobend verhoͤhnet, und wir unſre natuͤrliche
Denkart einbuͤßten. Schwerlich giebt es
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 9. Riga, 1797, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet09_1797/57>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.