Cicero, Livius und Horaz diese Schicklichkeit und Congruenz der Theile zur Eurythmie des Ganzen weder zu finden, noch anschaulich zu machen weiß, der ist des Geistes, in dem sie arbeiteten und dachten, nicht inne geworden. In wenige Werke der Neueren hat sich dieser organische Geist ergossen; wo er erscheint, macht er ein Werk seiner Natur nach unsterblich. Ein- falt also und Würde, Bedeutsamkeit und Wohlordnung haben wir von den Alten zu lernen, um unsrer Denkart und Spra- che im Kleinsten und Größesten eine solche Gestalt zu geben.
Aber das Anständige der Alten er- strecket sich weiter, indem Charaktere, Sitten, Grundsätze und Meinungen nicht etwa nur zu schildern, sondern darzu- stellen und zu verknüpfen der Zweck ihrer erlesensten Werke war. Die Tugend ist ein
Cicero, Livius und Horaz dieſe Schicklichkeit und Congruenz der Theile zur Eurythmie des Ganzen weder zu finden, noch anſchaulich zu machen weiß, der iſt des Geiſtes, in dem ſie arbeiteten und dachten, nicht inne geworden. In wenige Werke der Neueren hat ſich dieſer organiſche Geiſt ergoſſen; wo er erſcheint, macht er ein Werk ſeiner Natur nach unſterblich. Ein- falt alſo und Wuͤrde, Bedeutſamkeit und Wohlordnung haben wir von den Alten zu lernen, um unſrer Denkart und Spra- che im Kleinſten und Groͤßeſten eine ſolche Geſtalt zu geben.
Aber das Anſtaͤndige der Alten er- ſtrecket ſich weiter, indem Charaktere, Sitten, Grundſaͤtze und Meinungen nicht etwa nur zu ſchildern, ſondern darzu- ſtellen und zu verknuͤpfen der Zweck ihrer erleſenſten Werke war. Die Tugend iſt ein
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[37/0056]
Cicero, Livius und Horaz dieſe
Schicklichkeit und Congruenz der Theile
zur Eurythmie des Ganzen weder zu finden,
noch anſchaulich zu machen weiß, der iſt des
Geiſtes, in dem ſie arbeiteten und dachten,
nicht inne geworden. In wenige Werke
der Neueren hat ſich dieſer organiſche Geiſt
ergoſſen; wo er erſcheint, macht er ein
Werk ſeiner Natur nach unſterblich. Ein-
falt alſo und Wuͤrde, Bedeutſamkeit und
Wohlordnung haben wir von den Alten
zu lernen, um unſrer Denkart und Spra-
che im Kleinſten und Groͤßeſten eine ſolche
Geſtalt zu geben.
Aber das Anſtaͤndige der Alten er-
ſtrecket ſich weiter, indem Charaktere,
Sitten, Grundſaͤtze und Meinungen
nicht etwa nur zu ſchildern, ſondern darzu-
ſtellen und zu verknuͤpfen der Zweck ihrer
erleſenſten Werke war. Die Tugend iſt ein
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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 8. Riga, 1796, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet08_1796/56>, abgerufen am 22.07.2024.
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