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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 8. Riga, 1796.

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ner Sultan freuete sich über die vielen
Religionen, die in seinem Reich, jede auf
ihre Weise Gott verehrten; es kam ihm
wie eine schöne, bunte Aue vor, auf der
mancherlei Blumen blühten. So ists mit
der Poesie der Völker und Zeiten auf un-
serm Erdrunde; in jeder Zeit und Sprache
war sie der Inbegriff der Fehler und Voll-
kommenheiten einer Nation, ein Spiegel
ihrer Gesinnungen, der Ausdruck des Höch-
sten, nach welchem sie strebte (oratio sen-
sitiva animi perfecta.)
Diese Gemählde,
(minder und mehr vollkommene, wahre
und falsche Ideale) gegen einander zu stel-
len, giebt ein lehrreiches Vergnügen. In
dieser Galerie verschiedner Denkarten, An-
strebungen und Wünsche lernen wir Zeiten
und Nationen gewiß tiefer kennen als auf
dem täuschenden Trostlosen Wege ihrer
politischen und Kriegsgeschichte. In die-

ner Sultan freuete ſich uͤber die vielen
Religionen, die in ſeinem Reich, jede auf
ihre Weiſe Gott verehrten; es kam ihm
wie eine ſchoͤne, bunte Aue vor, auf der
mancherlei Blumen bluͤhten. So iſts mit
der Poeſie der Voͤlker und Zeiten auf un-
ſerm Erdrunde; in jeder Zeit und Sprache
war ſie der Inbegriff der Fehler und Voll-
kommenheiten einer Nation, ein Spiegel
ihrer Geſinnungen, der Ausdruck des Hoͤch-
ſten, nach welchem ſie ſtrebte (oratio ſen-
ſitiva animi perfecta.)
Dieſe Gemaͤhlde,
(minder und mehr vollkommene, wahre
und falſche Ideale) gegen einander zu ſtel-
len, giebt ein lehrreiches Vergnuͤgen. In
dieſer Galerie verſchiedner Denkarten, An-
ſtrebungen und Wuͤnſche lernen wir Zeiten
und Nationen gewiß tiefer kennen als auf
dem taͤuſchenden Troſtloſen Wege ihrer
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[178/0197] ner Sultan freuete ſich uͤber die vielen Religionen, die in ſeinem Reich, jede auf ihre Weiſe Gott verehrten; es kam ihm wie eine ſchoͤne, bunte Aue vor, auf der mancherlei Blumen bluͤhten. So iſts mit der Poeſie der Voͤlker und Zeiten auf un- ſerm Erdrunde; in jeder Zeit und Sprache war ſie der Inbegriff der Fehler und Voll- kommenheiten einer Nation, ein Spiegel ihrer Geſinnungen, der Ausdruck des Hoͤch- ſten, nach welchem ſie ſtrebte (oratio ſen- ſitiva animi perfecta.) Dieſe Gemaͤhlde, (minder und mehr vollkommene, wahre und falſche Ideale) gegen einander zu ſtel- len, giebt ein lehrreiches Vergnuͤgen. In dieſer Galerie verſchiedner Denkarten, An- ſtrebungen und Wuͤnſche lernen wir Zeiten und Nationen gewiß tiefer kennen als auf dem taͤuſchenden Troſtloſen Wege ihrer politiſchen und Kriegsgeſchichte. In die-

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 8. Riga, 1796, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet08_1796/197>, abgerufen am 27.11.2024.