Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 8. Riga, 1796.Wie Nationen wandern, wie sich die Wie Nationen wandern, wie ſich die <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0191" n="172"/> <p>Wie Nationen wandern, wie ſich die<lb/> Sprachen miſchen und aͤndern, wie neue<lb/> Gegenſtaͤnde die Menſchen ruͤhren, wie<lb/> ihre Neigungen eine andre Richtung, ihre<lb/> Uebungen ein andres Ziel nehmen, wie in<lb/> der Zuſammenſetzung der Bilder und Be-<lb/> griffe, neue Vorbilder auf ſie wirken,<lb/> ſelbſt wie die Zunge, dies kleine Glied, ſich<lb/> anders beweget und das Ohr ſich an an-<lb/> dre Toͤne gewoͤhnt: ſo veraͤndert ſich die<lb/> Dichtkunſt nicht nur bei verſchiedenen Na-<lb/> tionen, ſondern auch bei demſelben Volke.<lb/> Die Poeſie zu <hi rendition="#g">Homers</hi> Zeiten war bei<lb/> den Griechen ein andres Ding als zu<lb/><hi rendition="#g">Longins</hi> Zeiten, ſelbſt dem Begriff nach.<lb/> Ganz ein andres wars, was ſich der Roͤ-<lb/> mer und der Moͤnch, der Araber und der<lb/> Kreuzritter, oder was nach wiedergefun-<lb/> denen Alten der Gelehrte, und in ver-<lb/> ſchiednen Zeitaltern verſchiedner Nationen<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [172/0191]
Wie Nationen wandern, wie ſich die
Sprachen miſchen und aͤndern, wie neue
Gegenſtaͤnde die Menſchen ruͤhren, wie
ihre Neigungen eine andre Richtung, ihre
Uebungen ein andres Ziel nehmen, wie in
der Zuſammenſetzung der Bilder und Be-
griffe, neue Vorbilder auf ſie wirken,
ſelbſt wie die Zunge, dies kleine Glied, ſich
anders beweget und das Ohr ſich an an-
dre Toͤne gewoͤhnt: ſo veraͤndert ſich die
Dichtkunſt nicht nur bei verſchiedenen Na-
tionen, ſondern auch bei demſelben Volke.
Die Poeſie zu Homers Zeiten war bei
den Griechen ein andres Ding als zu
Longins Zeiten, ſelbſt dem Begriff nach.
Ganz ein andres wars, was ſich der Roͤ-
mer und der Moͤnch, der Araber und der
Kreuzritter, oder was nach wiedergefun-
denen Alten der Gelehrte, und in ver-
ſchiednen Zeitaltern verſchiedner Nationen
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