reine Humanität, Einfalt, Treue und Wahrheit. Wohl uns, daß uns dies sittliche Gefühl ward, daß dieser Cha- rakter gleichsam von unsrer Sprache un- abtrennlich ist, ja daß uns nichts gelingen will, wenn wir aus ihm schreiten. Lehr- geld in erzwungenen Nachäffungen haben wir gnug gegeben.
Mit diesem Charakter wieviel können wir entbehren! Wenn andre Nationen sich im Geschmack hie und dorthin verirrten, so wird unsre Regel feststehn, die im Mannichfaltigsten die wahreste Einfalt sucht und uns die Poesie seyn läßt, was sie seyn soll, ein Spiegel der Na- tur und Sitten, Humanität im gefäl- ligsten reinsten Gewande, Philosophie des Lebens. Dies war einst Orpheus und Apollo's Kunst.
reine Humanitaͤt, Einfalt, Treue und Wahrheit. Wohl uns, daß uns dies ſittliche Gefuͤhl ward, daß dieſer Cha- rakter gleichſam von unſrer Sprache un- abtrennlich iſt, ja daß uns nichts gelingen will, wenn wir aus ihm ſchreiten. Lehr- geld in erzwungenen Nachaͤffungen haben wir gnug gegeben.
Mit dieſem Charakter wieviel koͤnnen wir entbehren! Wenn andre Nationen ſich im Geſchmack hie und dorthin verirrten, ſo wird unſre Regel feſtſtehn, die im Mannichfaltigſten die wahreſte Einfalt ſucht und uns die Poeſie ſeyn laͤßt, was ſie ſeyn ſoll, ein Spiegel der Na- tur und Sitten, Humanitaͤt im gefaͤl- ligſten reinſten Gewande, Philoſophie des Lebens. Dies war einſt Orpheus und Apollo's Kunſt.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0189"n="170"/><hirendition="#g">reine Humanitaͤt</hi>, <hirendition="#g">Einfalt</hi>, <hirendition="#g">Treue<lb/>
und Wahrheit</hi>. Wohl uns, daß uns<lb/>
dies ſittliche Gefuͤhl ward, daß dieſer Cha-<lb/>
rakter gleichſam von unſrer Sprache un-<lb/>
abtrennlich iſt, ja daß uns nichts gelingen<lb/>
will, wenn wir aus ihm ſchreiten. Lehr-<lb/>
geld in erzwungenen Nachaͤffungen haben<lb/>
wir gnug gegeben.</p><lb/><p>Mit dieſem Charakter wieviel koͤnnen<lb/>
wir entbehren! Wenn andre Nationen ſich<lb/>
im Geſchmack hie und dorthin verirrten,<lb/>ſo wird unſre Regel feſtſtehn, die im<lb/>
Mannichfaltigſten die wahreſte Einfalt<lb/>ſucht und uns die Poeſie ſeyn laͤßt,<lb/>
was ſie ſeyn ſoll, ein Spiegel der Na-<lb/>
tur und Sitten, Humanitaͤt im gefaͤl-<lb/>
ligſten reinſten Gewande, Philoſophie des<lb/>
Lebens. Dies war einſt Orpheus und<lb/>
Apollo's Kunſt.</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/></body></text></TEI>
[170/0189]
reine Humanitaͤt, Einfalt, Treue
und Wahrheit. Wohl uns, daß uns
dies ſittliche Gefuͤhl ward, daß dieſer Cha-
rakter gleichſam von unſrer Sprache un-
abtrennlich iſt, ja daß uns nichts gelingen
will, wenn wir aus ihm ſchreiten. Lehr-
geld in erzwungenen Nachaͤffungen haben
wir gnug gegeben.
Mit dieſem Charakter wieviel koͤnnen
wir entbehren! Wenn andre Nationen ſich
im Geſchmack hie und dorthin verirrten,
ſo wird unſre Regel feſtſtehn, die im
Mannichfaltigſten die wahreſte Einfalt
ſucht und uns die Poeſie ſeyn laͤßt,
was ſie ſeyn ſoll, ein Spiegel der Na-
tur und Sitten, Humanitaͤt im gefaͤl-
ligſten reinſten Gewande, Philoſophie des
Lebens. Dies war einſt Orpheus und
Apollo's Kunſt.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 8. Riga, 1796, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet08_1796/189>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.