Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 8. Riga, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

konnte man in England kaum andre als
Romane in Shakespear's Manier,
d. i. Philosophische Romane erwarten.

Der Weg zu ihnen war freilich ein be-
schwerlicher Weg; er ging durch Politik
und Geschichte. Da England das erste
Land in Europa war, in welchem der
dritte Stand über Angelegenheiten des
Reichs mitsprechen dorfte und von den Zei-
ten der Elisabeth an es ein so bewerbsa-
mer Handelsstaat geworden war: so gin-
gen die eigenthümlichen Sitten seiner Ein-
wohner natürlicher Weise freier aus
einander. Nicht alles war und blieb
blos König, Baron, Ritter, Priester,
Mönch, Sklave. Jeder Stand zeichnete
sich in seinen Sitten ungestört aus, und
dorfte nicht eben, um der Verachtung zu
entgehen, Sitten und Sprache seiner hö-
hern Mitstände nachahmen; kurz, er dorfte

konnte man in England kaum andre als
Romane in Shakeſpear's Manier,
d. i. Philoſophiſche Romane erwarten.

Der Weg zu ihnen war freilich ein be-
ſchwerlicher Weg; er ging durch Politik
und Geſchichte. Da England das erſte
Land in Europa war, in welchem der
dritte Stand uͤber Angelegenheiten des
Reichs mitſprechen dorfte und von den Zei-
ten der Eliſabeth an es ein ſo bewerbſa-
mer Handelsſtaat geworden war: ſo gin-
gen die eigenthuͤmlichen Sitten ſeiner Ein-
wohner natuͤrlicher Weiſe freier aus
einander. Nicht alles war und blieb
blos Koͤnig, Baron, Ritter, Prieſter,
Moͤnch, Sklave. Jeder Stand zeichnete
ſich in ſeinen Sitten ungeſtoͤrt aus, und
dorfte nicht eben, um der Verachtung zu
entgehen, Sitten und Sprache ſeiner hoͤ-
hern Mitſtaͤnde nachahmen; kurz, er dorfte

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0119" n="100"/>
konnte man in England kaum andre als<lb/>
Romane in <hi rendition="#g">Shake&#x017F;pear</hi>'s <hi rendition="#g">Manier</hi>,<lb/>
d. i. Philo&#x017F;ophi&#x017F;che Romane erwarten.</p><lb/>
        <p>Der Weg zu ihnen war freilich ein be-<lb/>
&#x017F;chwerlicher Weg; er ging durch Politik<lb/>
und Ge&#x017F;chichte. Da England das er&#x017F;te<lb/>
Land in Europa war, in welchem der<lb/>
dritte Stand u&#x0364;ber Angelegenheiten des<lb/>
Reichs mit&#x017F;prechen dorfte und von den Zei-<lb/>
ten der Eli&#x017F;abeth an es ein &#x017F;o bewerb&#x017F;a-<lb/>
mer Handels&#x017F;taat geworden war: &#x017F;o gin-<lb/>
gen die eigenthu&#x0364;mlichen Sitten &#x017F;einer Ein-<lb/>
wohner natu&#x0364;rlicher Wei&#x017F;e <hi rendition="#g">freier aus<lb/>
einander</hi>. Nicht alles war und blieb<lb/>
blos Ko&#x0364;nig, Baron, Ritter, Prie&#x017F;ter,<lb/>
Mo&#x0364;nch, Sklave. Jeder Stand zeichnete<lb/>
&#x017F;ich in <hi rendition="#g">&#x017F;einen</hi> Sitten unge&#x017F;to&#x0364;rt aus, und<lb/>
dorfte nicht eben, um der Verachtung zu<lb/>
entgehen, Sitten und Sprache &#x017F;einer ho&#x0364;-<lb/>
hern Mit&#x017F;ta&#x0364;nde nachahmen; kurz, er dorfte<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[100/0119] konnte man in England kaum andre als Romane in Shakeſpear's Manier, d. i. Philoſophiſche Romane erwarten. Der Weg zu ihnen war freilich ein be- ſchwerlicher Weg; er ging durch Politik und Geſchichte. Da England das erſte Land in Europa war, in welchem der dritte Stand uͤber Angelegenheiten des Reichs mitſprechen dorfte und von den Zei- ten der Eliſabeth an es ein ſo bewerbſa- mer Handelsſtaat geworden war: ſo gin- gen die eigenthuͤmlichen Sitten ſeiner Ein- wohner natuͤrlicher Weiſe freier aus einander. Nicht alles war und blieb blos Koͤnig, Baron, Ritter, Prieſter, Moͤnch, Sklave. Jeder Stand zeichnete ſich in ſeinen Sitten ungeſtoͤrt aus, und dorfte nicht eben, um der Verachtung zu entgehen, Sitten und Sprache ſeiner hoͤ- hern Mitſtaͤnde nachahmen; kurz, er dorfte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet08_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet08_1796/119
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 8. Riga, 1796, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet08_1796/119>, abgerufen am 27.11.2024.