Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 8. Riga, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

aller Moral, auch vieler Weltkänntniß und
Weltklugheit dienen können. Höher hin-
aus aber reichte sein Genius nicht. Von
Horaz liebenswürdiger Satyre, geschwei-
ge von seiner praktischen Welt- und Le-
bensweisheit hatte Pope's Gemüthsart
keinen Begriff; und man muß durchaus
Engländer seyn, um in seinem Homer den
alten oder gar den bessern Homer zu
finden. Die von ihm den Römern nach-
geahmten Stücke zeigen den fürchterlichen
Unterschied, der zwischen ihrer und unsrer,
wenigstens ihrer und Pope's Poesie war.
Ihre Muse geht im natürlichen Gange der
Sprache edeldenkend melodisch einher; die
Popische Muse geht Zwangvoll und ge-
brechlich, oft sogar unedel daher, über- und
über bedeckt mit einem Geklingel von
Reimen.

aller Moral, auch vieler Weltkaͤnntniß und
Weltklugheit dienen koͤnnen. Hoͤher hin-
aus aber reichte ſein Genius nicht. Von
Horaz liebenswuͤrdiger Satyre, geſchwei-
ge von ſeiner praktiſchen Welt- und Le-
bensweisheit hatte Pope's Gemuͤthsart
keinen Begriff; und man muß durchaus
Englaͤnder ſeyn, um in ſeinem Homer den
alten oder gar den beſſern Homer zu
finden. Die von ihm den Roͤmern nach-
geahmten Stuͤcke zeigen den fuͤrchterlichen
Unterſchied, der zwiſchen ihrer und unſrer,
wenigſtens ihrer und Pope's Poeſie war.
Ihre Muſe geht im natuͤrlichen Gange der
Sprache edeldenkend melodiſch einher; die
Popiſche Muſe geht Zwangvoll und ge-
brechlich, oft ſogar unedel daher, uͤber- und
uͤber bedeckt mit einem Geklingel von
Reimen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0112" n="93"/>
aller Moral, auch vieler Weltka&#x0364;nntniß und<lb/>
Weltklugheit dienen ko&#x0364;nnen. Ho&#x0364;her hin-<lb/>
aus aber reichte &#x017F;ein Genius nicht. Von<lb/><hi rendition="#g">Horaz</hi> liebenswu&#x0364;rdiger Satyre, ge&#x017F;chwei-<lb/>
ge von <hi rendition="#g">&#x017F;einer</hi> prakti&#x017F;chen Welt- und Le-<lb/>
bensweisheit hatte <hi rendition="#g">Pope</hi>'s Gemu&#x0364;thsart<lb/>
keinen Begriff; und man muß durchaus<lb/>
Engla&#x0364;nder &#x017F;eyn, um in &#x017F;einem Homer den<lb/><hi rendition="#g">alten</hi> oder gar den <hi rendition="#g">be&#x017F;&#x017F;ern</hi> Homer zu<lb/>
finden. Die von ihm den Ro&#x0364;mern nach-<lb/>
geahmten Stu&#x0364;cke zeigen den fu&#x0364;rchterlichen<lb/>
Unter&#x017F;chied, der zwi&#x017F;chen ihrer und un&#x017F;rer,<lb/>
wenig&#x017F;tens ihrer und <hi rendition="#g">Pope</hi>'s Poe&#x017F;ie war.<lb/>
Ihre Mu&#x017F;e geht im natu&#x0364;rlichen Gange der<lb/>
Sprache edeldenkend melodi&#x017F;ch einher; die<lb/>
Popi&#x017F;che Mu&#x017F;e geht Zwangvoll und ge-<lb/>
brechlich, oft &#x017F;ogar unedel daher, u&#x0364;ber- und<lb/>
u&#x0364;ber bedeckt mit einem Geklingel von<lb/>
Reimen.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[93/0112] aller Moral, auch vieler Weltkaͤnntniß und Weltklugheit dienen koͤnnen. Hoͤher hin- aus aber reichte ſein Genius nicht. Von Horaz liebenswuͤrdiger Satyre, geſchwei- ge von ſeiner praktiſchen Welt- und Le- bensweisheit hatte Pope's Gemuͤthsart keinen Begriff; und man muß durchaus Englaͤnder ſeyn, um in ſeinem Homer den alten oder gar den beſſern Homer zu finden. Die von ihm den Roͤmern nach- geahmten Stuͤcke zeigen den fuͤrchterlichen Unterſchied, der zwiſchen ihrer und unſrer, wenigſtens ihrer und Pope's Poeſie war. Ihre Muſe geht im natuͤrlichen Gange der Sprache edeldenkend melodiſch einher; die Popiſche Muſe geht Zwangvoll und ge- brechlich, oft ſogar unedel daher, uͤber- und uͤber bedeckt mit einem Geklingel von Reimen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet08_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet08_1796/112
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 8. Riga, 1796, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet08_1796/112>, abgerufen am 26.12.2024.