sie ab, stellet sie dar mit aller Lieblichkeit eines alten Novellen- und Fabeldichters. Seine Ritter und Helden, seine Könige und Stände treten in der ganzen Pracht ihrer und seiner Zeit vor, die in so man- chen Gesinnungen, und dem ganzen Ver- hältniß der Stände gegen einander uns jetzt wie eine aus den Gräbern erstehende Welt vorkommt. Wie oft müssen wir über die wundersame Einfalt und Befangenheit jener Zeiten lächeln! In dem Allen ist er ein darstellender Minstrel, der Personen, Auftritte, Zeiten giebt, wie sie sich ihm gaben, und zu seinem Zweck dienten. Nun aber wenn er in diesen Scenen der alten Welt uns die Tiefen des menschlichen Her- zens eröfnet, und im wunderbarsten, jedoch durchaus charakteristischen Ausdruck eine Philosophie vorträgt, die alle Stände und Verhältnisse, alle Charaktere und Situa-
ſie ab, ſtellet ſie dar mit aller Lieblichkeit eines alten Novellen- und Fabeldichters. Seine Ritter und Helden, ſeine Koͤnige und Staͤnde treten in der ganzen Pracht ihrer und ſeiner Zeit vor, die in ſo man- chen Geſinnungen, und dem ganzen Ver- haͤltniß der Staͤnde gegen einander uns jetzt wie eine aus den Graͤbern erſtehende Welt vorkommt. Wie oft muͤſſen wir uͤber die wunderſame Einfalt und Befangenheit jener Zeiten laͤcheln! In dem Allen iſt er ein darſtellender Minſtrel, der Perſonen, Auftritte, Zeiten giebt, wie ſie ſich ihm gaben, und zu ſeinem Zweck dienten. Nun aber wenn er in dieſen Scenen der alten Welt uns die Tiefen des menſchlichen Her- zens eroͤfnet, und im wunderbarſten, jedoch durchaus charakteriſtiſchen Ausdruck eine Philoſophie vortraͤgt, die alle Staͤnde und Verhaͤltniſſe, alle Charaktere und Situa-
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ſie ab, ſtellet ſie dar mit aller Lieblichkeit
eines alten Novellen- und Fabeldichters.
Seine Ritter und Helden, ſeine Koͤnige
und Staͤnde treten in der ganzen Pracht
ihrer und ſeiner Zeit vor, die in ſo man-
chen Geſinnungen, und dem ganzen Ver-
haͤltniß der Staͤnde gegen einander uns
jetzt wie eine aus den Graͤbern erſtehende
Welt vorkommt. Wie oft muͤſſen wir uͤber
die wunderſame Einfalt und Befangenheit
jener Zeiten laͤcheln! In dem Allen iſt er
ein darſtellender Minſtrel, der Perſonen,
Auftritte, Zeiten giebt, wie ſie ſich ihm
gaben, und zu ſeinem Zweck dienten. Nun
aber wenn er in dieſen Scenen der alten
Welt uns die Tiefen des menſchlichen Her-
zens eroͤfnet, und im wunderbarſten, jedoch
durchaus charakteriſtiſchen Ausdruck eine
Philoſophie vortraͤgt, die alle Staͤnde und
Verhaͤltniſſe, alle Charaktere und Situa-
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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 8. Riga, 1796, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet08_1796/101>, abgerufen am 22.07.2024.
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