Eins zu sagen: gehe hin, sieh' und be- trachte. Je kälter, desto besser; um so mehr wirst du, was ich andeutete, finden. Nur habe kein vorgefaßtes System."
Alle wissen wir, daß die Götter der Griechen, in verschiedenen Gegenden ent- sprossen, hie und dort anders gedacht, mit Nebenumständen oft verkleidet, von Dichtern äußerst verschieden behandelt, von Philosophen endlich mit Allegorieen dergestalt überladen worden sind, daß man in jedem Gott einen ganzen Olimp von Göttern finden könnte. Aus diesem allen folgt aber nichts, was meiner in Denk- mahlen vorliegenden Wahrheit zuwider wäre. Der Mytholog zähle jede örtli- che Gottheit mit ihren Attributen und Na- men her; eine sehr lehrreiche Tempelreise. Der Ausleger bemerke jede Verschieden- heit der Götterfabel nach Zeitaltern, Dich-
Eins zu ſagen: gehe hin, ſieh' und be- trachte. Je kaͤlter, deſto beſſer; um ſo mehr wirſt du, was ich andeutete, finden. Nur habe kein vorgefaßtes Syſtem.“
Alle wiſſen wir, daß die Goͤtter der Griechen, in verſchiedenen Gegenden ent- ſproſſen, hie und dort anders gedacht, mit Nebenumſtaͤnden oft verkleidet, von Dichtern aͤußerſt verſchieden behandelt, von Philoſophen endlich mit Allegorieen dergeſtalt uͤberladen worden ſind, daß man in jedem Gott einen ganzen Olimp von Goͤttern finden koͤnnte. Aus dieſem allen folgt aber nichts, was meiner in Denk- mahlen vorliegenden Wahrheit zuwider waͤre. Der Mytholog zaͤhle jede oͤrtli- che Gottheit mit ihren Attributen und Na- men her; eine ſehr lehrreiche Tempelreiſe. Der Ausleger bemerke jede Verſchieden- heit der Goͤtterfabel nach Zeitaltern, Dich-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0071"n="56"/>
Eins zu ſagen: gehe hin, ſieh' und be-<lb/>
trachte. Je kaͤlter, deſto beſſer; um ſo<lb/>
mehr wirſt du, was ich andeutete, finden.<lb/>
Nur habe kein vorgefaßtes Syſtem.“</p><lb/><p>Alle wiſſen wir, daß die Goͤtter der<lb/>
Griechen, in verſchiedenen Gegenden ent-<lb/>ſproſſen, hie und dort anders gedacht,<lb/>
mit Nebenumſtaͤnden oft verkleidet, von<lb/>
Dichtern aͤußerſt verſchieden behandelt,<lb/>
von Philoſophen endlich mit Allegorieen<lb/>
dergeſtalt uͤberladen worden ſind, daß man<lb/>
in jedem Gott einen ganzen Olimp von<lb/>
Goͤttern finden koͤnnte. Aus dieſem allen<lb/>
folgt aber nichts, was meiner in Denk-<lb/>
mahlen vorliegenden Wahrheit zuwider<lb/>
waͤre. Der <hirendition="#g">Mytholog</hi> zaͤhle jede oͤrtli-<lb/>
che Gottheit mit ihren Attributen und Na-<lb/>
men her; eine ſehr lehrreiche Tempelreiſe.<lb/>
Der <hirendition="#g">Ausleger</hi> bemerke jede Verſchieden-<lb/>
heit der Goͤtterfabel nach Zeitaltern, Dich-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[56/0071]
Eins zu ſagen: gehe hin, ſieh' und be-
trachte. Je kaͤlter, deſto beſſer; um ſo
mehr wirſt du, was ich andeutete, finden.
Nur habe kein vorgefaßtes Syſtem.“
Alle wiſſen wir, daß die Goͤtter der
Griechen, in verſchiedenen Gegenden ent-
ſproſſen, hie und dort anders gedacht,
mit Nebenumſtaͤnden oft verkleidet, von
Dichtern aͤußerſt verſchieden behandelt,
von Philoſophen endlich mit Allegorieen
dergeſtalt uͤberladen worden ſind, daß man
in jedem Gott einen ganzen Olimp von
Goͤttern finden koͤnnte. Aus dieſem allen
folgt aber nichts, was meiner in Denk-
mahlen vorliegenden Wahrheit zuwider
waͤre. Der Mytholog zaͤhle jede oͤrtli-
che Gottheit mit ihren Attributen und Na-
men her; eine ſehr lehrreiche Tempelreiſe.
Der Ausleger bemerke jede Verſchieden-
heit der Goͤtterfabel nach Zeitaltern, Dich-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 6. Riga, 1795, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet06_1795/71>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.