Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 6. Riga, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

uns, und macht uns scheu, euren Namen
nur auszusprechen, oder den Saum eures
Gewandes zu berühren. Im Kapitolium
rupft die Muse der Sirene mit Schmerz
den Flügel; und in mehreren Darstellun-
gen wird Marsyas dem Apoll ein gräß-
liches Opfer.

Wenn die griechische Kunst der weibli-
chen Jugend Grazientanz, fröhli-
chen Leichtsinn, oder Schüchtern-
heit, Spröde, endlich jenen noch un-
gebändigten Stolz zum Charakter gab,
den mehrere griechische Dichter in Worten
charakterisirt haben: so sei es erlaubt,
mich von ihnen zu einer unglücklichen Fa-
milie zu wenden, die für mich in ihrem
heiligen Styl die hohe Tragödie der
Kunst
ist, Niobe mit ihren Kindern.
Ich will sie mit Worten nicht entweihen;
aber einige Töchter und einige Söhne ma-

uns, und macht uns ſcheu, euren Namen
nur auszuſprechen, oder den Saum eures
Gewandes zu beruͤhren. Im Kapitolium
rupft die Muſe der Sirene mit Schmerz
den Fluͤgel; und in mehreren Darſtellun-
gen wird Marſyas dem Apoll ein graͤß-
liches Opfer.

Wenn die griechiſche Kunſt der weibli-
chen Jugend Grazientanz, froͤhli-
chen Leichtſinn, oder Schuͤchtern-
heit, Sproͤde, endlich jenen noch un-
gebaͤndigten Stolz zum Charakter gab,
den mehrere griechiſche Dichter in Worten
charakteriſirt haben: ſo ſei es erlaubt,
mich von ihnen zu einer ungluͤcklichen Fa-
milie zu wenden, die fuͤr mich in ihrem
heiligen Styl die hohe Tragoͤdie der
Kunſt
iſt, Niobe mit ihren Kindern.
Ich will ſie mit Worten nicht entweihen;
aber einige Toͤchter und einige Soͤhne ma-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0033" n="18"/>
uns, und macht uns &#x017F;cheu, euren Namen<lb/>
nur auszu&#x017F;prechen, oder den Saum eures<lb/>
Gewandes zu beru&#x0364;hren. Im Kapitolium<lb/>
rupft die Mu&#x017F;e der Sirene mit Schmerz<lb/>
den Flu&#x0364;gel; und in mehreren Dar&#x017F;tellun-<lb/>
gen wird <hi rendition="#g">Mar&#x017F;yas</hi> dem Apoll ein gra&#x0364;ß-<lb/>
liches Opfer.</p><lb/>
        <p>Wenn die griechi&#x017F;che Kun&#x017F;t der weibli-<lb/>
chen Jugend <hi rendition="#g">Grazientanz</hi>, <hi rendition="#g">fro&#x0364;hli</hi>-<lb/><hi rendition="#g">chen Leicht&#x017F;inn</hi>, oder <hi rendition="#g">Schu&#x0364;chtern</hi>-<lb/><hi rendition="#g">heit</hi>, <hi rendition="#g">Spro&#x0364;de</hi>, endlich jenen noch <hi rendition="#g">un</hi>-<lb/><hi rendition="#g">geba&#x0364;ndigten Stolz</hi> zum Charakter gab,<lb/>
den mehrere griechi&#x017F;che Dichter in Worten<lb/>
charakteri&#x017F;irt haben: &#x017F;o &#x017F;ei es erlaubt,<lb/>
mich von ihnen zu einer unglu&#x0364;cklichen Fa-<lb/>
milie zu wenden, die fu&#x0364;r mich in ihrem<lb/>
heiligen Styl die <hi rendition="#g">hohe Trago&#x0364;die der<lb/>
Kun&#x017F;t</hi> i&#x017F;t, <hi rendition="#g">Niobe mit ihren Kindern</hi>.<lb/>
Ich will &#x017F;ie mit Worten nicht entweihen;<lb/>
aber einige To&#x0364;chter und einige So&#x0364;hne ma-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[18/0033] uns, und macht uns ſcheu, euren Namen nur auszuſprechen, oder den Saum eures Gewandes zu beruͤhren. Im Kapitolium rupft die Muſe der Sirene mit Schmerz den Fluͤgel; und in mehreren Darſtellun- gen wird Marſyas dem Apoll ein graͤß- liches Opfer. Wenn die griechiſche Kunſt der weibli- chen Jugend Grazientanz, froͤhli- chen Leichtſinn, oder Schuͤchtern- heit, Sproͤde, endlich jenen noch un- gebaͤndigten Stolz zum Charakter gab, den mehrere griechiſche Dichter in Worten charakteriſirt haben: ſo ſei es erlaubt, mich von ihnen zu einer ungluͤcklichen Fa- milie zu wenden, die fuͤr mich in ihrem heiligen Styl die hohe Tragoͤdie der Kunſt iſt, Niobe mit ihren Kindern. Ich will ſie mit Worten nicht entweihen; aber einige Toͤchter und einige Soͤhne ma-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet06_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet06_1795/33
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 6. Riga, 1795, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet06_1795/33>, abgerufen am 18.12.2024.