Nemesis, Vergessen und Erinne- rung, und so manche andre Dinge zu- sammen, die sich einander gleichsam be- schränkten oder belehrten. Ein angeneh- mer Lustweg wäre es, den Pausanias, und die griechischen Dichter in dieser Ab- sicht zu durchwandeln: denn was die Alle- gorie der Griechen eben so schön macht, ist ihre holde, ich möchte sagen, wahre Einfalt. Nie wollte sie zu viel sagen; sie ward nur gebraucht, wohin sie gehör- te, wo man durch sie sprechen mußte. Nach Gelehrsamkeit strebte sie nur in den schlechtern Zeiten; was sie aber sagte, deu- tete sie so an, daß wenn man das Bild auch nicht verstand, man doch ein schönes Bild sah und von der Vorstellung selbst geneigt gemacht wurde, ihr einen Sinn anzudichten. Ein Vorzug, den wenige neue Allegorieen erreichen.
Nemeſis, Vergeſſen und Erinne- rung, und ſo manche andre Dinge zu- ſammen, die ſich einander gleichſam be- ſchraͤnkten oder belehrten. Ein angeneh- mer Luſtweg waͤre es, den Pauſanias, und die griechiſchen Dichter in dieſer Ab- ſicht zu durchwandeln: denn was die Alle- gorie der Griechen eben ſo ſchoͤn macht, iſt ihre holde, ich moͤchte ſagen, wahre Einfalt. Nie wollte ſie zu viel ſagen; ſie ward nur gebraucht, wohin ſie gehoͤr- te, wo man durch ſie ſprechen mußte. Nach Gelehrſamkeit ſtrebte ſie nur in den ſchlechtern Zeiten; was ſie aber ſagte, deu- tete ſie ſo an, daß wenn man das Bild auch nicht verſtand, man doch ein ſchoͤnes Bild ſah und von der Vorſtellung ſelbſt geneigt gemacht wurde, ihr einen Sinn anzudichten. Ein Vorzug, den wenige neue Allegorieen erreichen.
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Nemeſis, Vergeſſen und Erinne-
rung, und ſo manche andre Dinge zu-
ſammen, die ſich einander gleichſam be-
ſchraͤnkten oder belehrten. Ein angeneh-
mer Luſtweg waͤre es, den Pauſanias,
und die griechiſchen Dichter in dieſer Ab-
ſicht zu durchwandeln: denn was die Alle-
gorie der Griechen eben ſo ſchoͤn macht,
iſt ihre holde, ich moͤchte ſagen, wahre
Einfalt. Nie wollte ſie zu viel ſagen;
ſie ward nur gebraucht, wohin ſie gehoͤr-
te, wo man durch ſie ſprechen mußte.
Nach Gelehrſamkeit ſtrebte ſie nur in den
ſchlechtern Zeiten; was ſie aber ſagte, deu-
tete ſie ſo an, daß wenn man das Bild
auch nicht verſtand, man doch ein ſchoͤnes
Bild ſah und von der Vorſtellung ſelbſt
geneigt gemacht wurde, ihr einen Sinn
anzudichten. Ein Vorzug, den wenige
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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 6. Riga, 1795, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet06_1795/147>, abgerufen am 16.02.2025.
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