sträubt sich, jener brüstet sich; und über- haupt ist ein Gesetz, als Gesetz, ohne Reiz und inneres Leben. Das mir selbst, das der Menschheit Anständige reizt; es reizt unaufhörlich, als ein nie ganz zu erringender Kampfpreis, als mei- ner innern und äussern Natur, als mei- nes ganzen Geschlechts höchste Blüthe. Wer dafür keinen Sinn hätte, der würde sich zwar selbst nicht verachten; er bliebe aber eben dadurch ein Unmensch, weil ihm dies Anständige, diese innere Wohlgestalt, das Gefühl und Bestre- ben des honesti fehlte. Er ist, (in der Sprache der Griechen zu reden,) ein Thier oder Halbthier, ein Centaur, ein Satyr.
In der Menschheit hat dies Ideal des moralischen Anstandes so viele Stuf- fen der Annäherung, daß es nicht etwa nur Gesinnungen für sich und die Seinen,
ſtraͤubt ſich, jener bruͤſtet ſich; und uͤber- haupt iſt ein Geſetz, als Geſetz, ohne Reiz und inneres Leben. Das mir ſelbſt, das der Menſchheit Anſtaͤndige reizt; es reizt unaufhoͤrlich, als ein nie ganz zu erringender Kampfpreis, als mei- ner innern und aͤuſſern Natur, als mei- nes ganzen Geſchlechts hoͤchſte Bluͤthe. Wer dafuͤr keinen Sinn haͤtte, der wuͤrde ſich zwar ſelbſt nicht verachten; er bliebe aber eben dadurch ein Unmenſch, weil ihm dies Anſtaͤndige, dieſe innere Wohlgeſtalt, das Gefuͤhl und Beſtre- ben des honeſti fehlte. Er iſt, (in der Sprache der Griechen zu reden,) ein Thier oder Halbthier, ein Centaur, ein Satyr.
In der Menſchheit hat dies Ideal des moraliſchen Anſtandes ſo viele Stuf- fen der Annaͤherung, daß es nicht etwa nur Geſinnungen fuͤr ſich und die Seinen,
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0117"n="102"/>ſtraͤubt ſich, jener bruͤſtet ſich; und uͤber-<lb/>
haupt iſt ein Geſetz, als Geſetz, ohne <hirendition="#g">Reiz</hi><lb/>
und inneres <hirendition="#g">Leben</hi>. Das <hirendition="#g">mir ſelbſt</hi>,<lb/>
das <hirendition="#g">der Menſchheit Anſtaͤndige</hi><lb/>
reizt; es reizt unaufhoͤrlich, als ein nie<lb/>
ganz zu erringender Kampfpreis, als mei-<lb/>
ner innern und aͤuſſern Natur, als mei-<lb/>
nes ganzen Geſchlechts hoͤchſte Bluͤthe.<lb/>
Wer dafuͤr keinen Sinn haͤtte, der wuͤrde<lb/>ſich zwar ſelbſt nicht verachten; er bliebe<lb/>
aber eben dadurch ein Unmenſch, weil<lb/>
ihm dies <hirendition="#g">Anſtaͤndige</hi>, dieſe <hirendition="#g">innere<lb/>
Wohlgeſtalt</hi>, das Gefuͤhl und Beſtre-<lb/>
ben des <hirendition="#aq">honeſti</hi> fehlte. Er iſt, (in der<lb/>
Sprache der Griechen zu reden,) ein Thier<lb/>
oder Halbthier, ein Centaur, ein Satyr.</p><lb/><p>In der Menſchheit hat dies Ideal des<lb/><hirendition="#g">moraliſchen Anſtandes</hi>ſo viele Stuf-<lb/>
fen der Annaͤherung, daß es nicht etwa<lb/>
nur Geſinnungen fuͤr ſich und die Seinen,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[102/0117]
ſtraͤubt ſich, jener bruͤſtet ſich; und uͤber-
haupt iſt ein Geſetz, als Geſetz, ohne Reiz
und inneres Leben. Das mir ſelbſt,
das der Menſchheit Anſtaͤndige
reizt; es reizt unaufhoͤrlich, als ein nie
ganz zu erringender Kampfpreis, als mei-
ner innern und aͤuſſern Natur, als mei-
nes ganzen Geſchlechts hoͤchſte Bluͤthe.
Wer dafuͤr keinen Sinn haͤtte, der wuͤrde
ſich zwar ſelbſt nicht verachten; er bliebe
aber eben dadurch ein Unmenſch, weil
ihm dies Anſtaͤndige, dieſe innere
Wohlgeſtalt, das Gefuͤhl und Beſtre-
ben des honeſti fehlte. Er iſt, (in der
Sprache der Griechen zu reden,) ein Thier
oder Halbthier, ein Centaur, ein Satyr.
In der Menſchheit hat dies Ideal des
moraliſchen Anſtandes ſo viele Stuf-
fen der Annaͤherung, daß es nicht etwa
nur Geſinnungen fuͤr ſich und die Seinen,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 6. Riga, 1795, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet06_1795/117>, abgerufen am 18.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.