Seiten- und Brustharnisch entstand, der tausend Müttern und Kindern ihre Wohl- gestalt, ihr Leben, ihre Gesundheit, ihre Freuden an Muttergeschäften gekostet hat, und dennoch fortdauret. Da man Einmal auf dem Wege der Mißgestalt war, so wurden mancherlei Kleidungen erdacht, um diese oder jene einzelne Misgestalt zu ver- bergen, denen sodann unter dem Gesetz der Mode auch die blühendste Gestalt nachahmen mußte. Bei jeder unsinnigen Tracht nämlich kann man zeigen, welchem körperlichen Fehler zu gut sie entstanden sei, so daß man fast auch keinen körperli- chen Fehler gedenken kann, den unsre weib- liche Tracht nicht verbergen möchte. "Bist du das Alles?" sagte jene Griechin zu ei- nem Europäischen Reifrock; und was der Reifrock hätte antworten können, hat La- dy Montague frei gesagt. Die männ-
Seiten- und Bruſtharniſch entſtand, der tauſend Muͤttern und Kindern ihre Wohl- geſtalt, ihr Leben, ihre Geſundheit, ihre Freuden an Muttergeſchaͤften gekoſtet hat, und dennoch fortdauret. Da man Einmal auf dem Wege der Mißgeſtalt war, ſo wurden mancherlei Kleidungen erdacht, um dieſe oder jene einzelne Misgeſtalt zu ver- bergen, denen ſodann unter dem Geſetz der Mode auch die bluͤhendſte Geſtalt nachahmen mußte. Bei jeder unſinnigen Tracht naͤmlich kann man zeigen, welchem koͤrperlichen Fehler zu gut ſie entſtanden ſei, ſo daß man faſt auch keinen koͤrperli- chen Fehler gedenken kann, den unſre weib- liche Tracht nicht verbergen moͤchte. „Biſt du das Alles?„ ſagte jene Griechin zu ei- nem Europaͤiſchen Reifrock; und was der Reifrock haͤtte antworten koͤnnen, hat La- dy Montague frei geſagt. Die maͤnn-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0101"n="86"/>
Seiten- und Bruſtharniſch entſtand, der<lb/>
tauſend Muͤttern und Kindern ihre Wohl-<lb/>
geſtalt, ihr Leben, ihre Geſundheit, ihre<lb/>
Freuden an Muttergeſchaͤften gekoſtet hat,<lb/>
und dennoch fortdauret. Da man Einmal<lb/>
auf dem Wege der Mißgeſtalt war, ſo<lb/>
wurden mancherlei Kleidungen erdacht, um<lb/>
dieſe oder jene einzelne Misgeſtalt zu ver-<lb/>
bergen, denen ſodann unter dem Geſetz<lb/>
der Mode auch die bluͤhendſte Geſtalt<lb/>
nachahmen mußte. Bei jeder unſinnigen<lb/>
Tracht naͤmlich kann man zeigen, welchem<lb/>
koͤrperlichen Fehler zu gut ſie entſtanden<lb/>ſei, ſo daß man faſt auch keinen koͤrperli-<lb/>
chen Fehler gedenken kann, den unſre weib-<lb/>
liche Tracht nicht verbergen moͤchte. „Biſt<lb/>
du das Alles?„ſagte jene Griechin zu ei-<lb/>
nem Europaͤiſchen Reifrock; und was der<lb/>
Reifrock haͤtte antworten koͤnnen, hat La-<lb/>
dy <hirendition="#g">Montague</hi> frei geſagt. Die maͤnn-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[86/0101]
Seiten- und Bruſtharniſch entſtand, der
tauſend Muͤttern und Kindern ihre Wohl-
geſtalt, ihr Leben, ihre Geſundheit, ihre
Freuden an Muttergeſchaͤften gekoſtet hat,
und dennoch fortdauret. Da man Einmal
auf dem Wege der Mißgeſtalt war, ſo
wurden mancherlei Kleidungen erdacht, um
dieſe oder jene einzelne Misgeſtalt zu ver-
bergen, denen ſodann unter dem Geſetz
der Mode auch die bluͤhendſte Geſtalt
nachahmen mußte. Bei jeder unſinnigen
Tracht naͤmlich kann man zeigen, welchem
koͤrperlichen Fehler zu gut ſie entſtanden
ſei, ſo daß man faſt auch keinen koͤrperli-
chen Fehler gedenken kann, den unſre weib-
liche Tracht nicht verbergen moͤchte. „Biſt
du das Alles?„ ſagte jene Griechin zu ei-
nem Europaͤiſchen Reifrock; und was der
Reifrock haͤtte antworten koͤnnen, hat La-
dy Montague frei geſagt. Die maͤnn-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 6. Riga, 1795, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet06_1795/101>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.