na, der Schauplatz, das Ziel, das Maas seiner Wirkung. Die Scene, die der Epische Dichter nicht also beschreibt, daß sie den Augen des Zuhörers sichtbar wird, also daß auch in der Seele der Han- delnden mit gehaltenem Interesse alles vor seinen Augen vorgehet, ist keine Epische Scene; die Begebenheit, die der Ge- schichtschreiber im Zusammenhange ih- rer Folgen, wo möglich auch ihrer Ursa- chen, nicht also gegenwärtig zu machen weiß, daß dem Zuhörer sein eignes klares Urtheil darüber reifet, ist eine mangelhaft- erzählte Geschichte. Der Lyrische Dich- ter, der mit seiner Kunst in der Seele des Hörenden nicht den Grad von Theil- nehmung trift, auf den seine Kunst als auf den Punkt ihrer Vollkommenheit rech- net, hat auf ein Nichts gearbeitet, und verfehlt seine Wirkung. Alle diese Pro-
na, der Schauplatz, das Ziel, das Maas ſeiner Wirkung. Die Scene, die der Epiſche Dichter nicht alſo beſchreibt, daß ſie den Augen des Zuhoͤrers ſichtbar wird, alſo daß auch in der Seele der Han- delnden mit gehaltenem Intereſſe alles vor ſeinen Augen vorgehet, iſt keine Epiſche Scene; die Begebenheit, die der Ge- ſchichtſchreiber im Zuſammenhange ih- rer Folgen, wo moͤglich auch ihrer Urſa- chen, nicht alſo gegenwaͤrtig zu machen weiß, daß dem Zuhoͤrer ſein eignes klares Urtheil daruͤber reifet, iſt eine mangelhaft- erzaͤhlte Geſchichte. Der Lyriſche Dich- ter, der mit ſeiner Kunſt in der Seele des Hoͤrenden nicht den Grad von Theil- nehmung trift, auf den ſeine Kunſt als auf den Punkt ihrer Vollkommenheit rech- net, hat auf ein Nichts gearbeitet, und verfehlt ſeine Wirkung. Alle dieſe Pro-
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na, der Schauplatz, das Ziel, das Maas
ſeiner Wirkung. Die Scene, die der
Epiſche Dichter nicht alſo beſchreibt,
daß ſie den Augen des Zuhoͤrers ſichtbar
wird, alſo daß auch in der Seele der Han-
delnden mit gehaltenem Intereſſe alles vor
ſeinen Augen vorgehet, iſt keine Epiſche
Scene; die Begebenheit, die der Ge-
ſchichtſchreiber im Zuſammenhange ih-
rer Folgen, wo moͤglich auch ihrer Urſa-
chen, nicht alſo gegenwaͤrtig zu machen
weiß, daß dem Zuhoͤrer ſein eignes klares
Urtheil daruͤber reifet, iſt eine mangelhaft-
erzaͤhlte Geſchichte. Der Lyriſche Dich-
ter, der mit ſeiner Kunſt in der Seele
des Hoͤrenden nicht den Grad von Theil-
nehmung trift, auf den ſeine Kunſt als
auf den Punkt ihrer Vollkommenheit rech-
net, hat auf ein Nichts gearbeitet, und
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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 5. Riga, 1795, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet05_1795/87>, abgerufen am 23.07.2024.
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