der oft mit frohem Schauder sagen wird: "o der leichtsinnigen Griechen! Wohl uns! diese Zeiten sind vorüber!" Ein Gleiches wird er vielleicht von den Religions- und Staatsfeierlichkeiten, den öffentlichen Spie- len, Tänzen, Uebungen und Wettkämpfen, vielleicht auch vom ganzen Theater in Athen sagen. Und allerdings gehört Alles dorthin und in jene Zeiten.
Aber warum hätten wir denn ein The- ater, wenn wir kein Publicum fürs Thea- ter haben mögen? Warum hätten wir Kunst, wenn es nicht die Griechische seyn kann? Warum unterfingen wir uns, Ver- gnügungen des Geschmacks zu haben, wenn es kein Publicum des Geschmacks geben soll? Warum endlich spielen wir mit Mu- sik, Redekunst, Poesie und Sprache, wenn diese nicht zu Zwecken angewandt werden, zu denen sie, allein und verbunden, ei-
der oft mit frohem Schauder ſagen wird: „o der leichtſinnigen Griechen! Wohl uns! dieſe Zeiten ſind voruͤber!„ Ein Gleiches wird er vielleicht von den Religions- und Staatsfeierlichkeiten, den oͤffentlichen Spie- len, Taͤnzen, Uebungen und Wettkaͤmpfen, vielleicht auch vom ganzen Theater in Athen ſagen. Und allerdings gehoͤrt Alles dorthin und in jene Zeiten.
Aber warum haͤtten wir denn ein The- ater, wenn wir kein Publicum fuͤrs Thea- ter haben moͤgen? Warum haͤtten wir Kunſt, wenn es nicht die Griechiſche ſeyn kann? Warum unterfingen wir uns, Ver- gnuͤgungen des Geſchmacks zu haben, wenn es kein Publicum des Geſchmacks geben ſoll? Warum endlich ſpielen wir mit Mu- ſik, Redekunſt, Poeſie und Sprache, wenn dieſe nicht zu Zwecken angewandt werden, zu denen ſie, allein und verbunden, ei-
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der oft mit frohem Schauder ſagen wird:
„o der leichtſinnigen Griechen! Wohl uns!
dieſe Zeiten ſind voruͤber!„ Ein Gleiches
wird er vielleicht von den Religions- und
Staatsfeierlichkeiten, den oͤffentlichen Spie-
len, Taͤnzen, Uebungen und Wettkaͤmpfen,
vielleicht auch vom ganzen Theater in
Athen ſagen. Und allerdings gehoͤrt Alles
dorthin und in jene Zeiten.
Aber warum haͤtten wir denn ein The-
ater, wenn wir kein Publicum fuͤrs Thea-
ter haben moͤgen? Warum haͤtten wir
Kunſt, wenn es nicht die Griechiſche ſeyn
kann? Warum unterfingen wir uns, Ver-
gnuͤgungen des Geſchmacks zu haben, wenn
es kein Publicum des Geſchmacks geben
ſoll? Warum endlich ſpielen wir mit Mu-
ſik, Redekunſt, Poeſie und Sprache, wenn
dieſe nicht zu Zwecken angewandt werden,
zu denen ſie, allein und verbunden, ei-
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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 5. Riga, 1795, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet05_1795/85>, abgerufen am 23.07.2024.
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