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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 5. Riga, 1795.

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ihm noch ungedruckte Abhandlungen vor-
handen!) sind mir schöne Reste von Phi-
losophen der alten Zeit.

Hören Sie was Leibnitz von seinem
Censorgeist saget: "Niemand hat weniger
Censorgeist, als ich habe. Sonderbar ists;
aber mir gefällt das Meiste, was ich lese.
Da ich nämlich weiß, wie verschieden die
Sachen genommen werden, so fällt mir wäh-
rend dem Lesen meistens bei, womit man den
Schriftsteller vertheidigen oder entschuldi-
gen könnte. Sehr selten ists, daß mir im
Lesen etwas ganz misfällt, obgleich frei-
lich dem Einen Dies, dem Andern Das
mehr gefallen möchte. -- Ich bin einmal
so gebauet, daß ich allenthalben am lieb-
sten aufsuche und bemerke, was Lobens-
werth ist, nicht was Tadel verdienet."
Könnte der Geist der Philanthropie
selbst billiger und milder denken?


ihm noch ungedruckte Abhandlungen vor-
handen!) ſind mir ſchoͤne Reſte von Phi-
loſophen der alten Zeit.

Hoͤren Sie was Leibnitz von ſeinem
Cenſorgeiſt ſaget: „Niemand hat weniger
Cenſorgeiſt, als ich habe. Sonderbar iſts;
aber mir gefaͤllt das Meiſte, was ich leſe.
Da ich naͤmlich weiß, wie verſchieden die
Sachen genommen werden, ſo faͤllt mir waͤh-
rend dem Leſen meiſtens bei, womit man den
Schriftſteller vertheidigen oder entſchuldi-
gen koͤnnte. Sehr ſelten iſts, daß mir im
Leſen etwas ganz misfaͤllt, obgleich frei-
lich dem Einen Dies, dem Andern Das
mehr gefallen moͤchte. — Ich bin einmal
ſo gebauet, daß ich allenthalben am lieb-
ſten aufſuche und bemerke, was Lobens-
werth iſt, nicht was Tadel verdienet.„
Koͤnnte der Geiſt der Philanthropie
ſelbſt billiger und milder denken?


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[51/0214] ihm noch ungedruckte Abhandlungen vor- handen!) ſind mir ſchoͤne Reſte von Phi- loſophen der alten Zeit. Hoͤren Sie was Leibnitz von ſeinem Cenſorgeiſt ſaget: „Niemand hat weniger Cenſorgeiſt, als ich habe. Sonderbar iſts; aber mir gefaͤllt das Meiſte, was ich leſe. Da ich naͤmlich weiß, wie verſchieden die Sachen genommen werden, ſo faͤllt mir waͤh- rend dem Leſen meiſtens bei, womit man den Schriftſteller vertheidigen oder entſchuldi- gen koͤnnte. Sehr ſelten iſts, daß mir im Leſen etwas ganz misfaͤllt, obgleich frei- lich dem Einen Dies, dem Andern Das mehr gefallen moͤchte. — Ich bin einmal ſo gebauet, daß ich allenthalben am lieb- ſten aufſuche und bemerke, was Lobens- werth iſt, nicht was Tadel verdienet.„ Koͤnnte der Geiſt der Philanthropie ſelbſt billiger und milder denken?

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 5. Riga, 1795, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet05_1795/214>, abgerufen am 27.11.2024.