denen sich viele und große Dinge finden, die Jener nicht bemerkt hat. --
"Nichts stehet dem Fortkommen der Wissenschaft so sehr entgegen, als jener Knechtsdienst, in der Philosophie eines An- dern Gedanken zu paraphrasiren; und eben diese Paraphrasir-Kunst halte ich für die Ursache, warum von den blos-Cartesianern eben so wenig Neues und Ausnehmendes geleistet werde, als von den Aristotelikern geleistet worden, nicht aus Mangel des Genies, sondern des Sektengeists, der Par- theisucht halben. Wie nämlich unsre Ein- bildungskraft, wenn ihr Eine Melodie al- lein vorschwebt, schwerlich und mit Mühe zu einer andern übergeht, wie Der, der unabläßig einer geschlagenen Straße folgt, keine neuen Wege entdecken wird: so sind auch die, die Einem Autor sich einverleiben, leibhafte Knechte dieses Autors, die er
denen ſich viele und große Dinge finden, die Jener nicht bemerkt hat. —
„Nichts ſtehet dem Fortkommen der Wiſſenſchaft ſo ſehr entgegen, als jener Knechtsdienſt, in der Philoſophie eines An- dern Gedanken zu paraphraſiren; und eben dieſe Paraphraſir-Kunſt halte ich fuͤr die Urſache, warum von den blos-Carteſianern eben ſo wenig Neues und Ausnehmendes geleiſtet werde, als von den Ariſtotelikern geleiſtet worden, nicht aus Mangel des Genies, ſondern des Sektengeiſts, der Par- theiſucht halben. Wie naͤmlich unſre Ein- bildungskraft, wenn ihr Eine Melodie al- lein vorſchwebt, ſchwerlich und mit Muͤhe zu einer andern uͤbergeht, wie Der, der unablaͤßig einer geſchlagenen Straße folgt, keine neuen Wege entdecken wird: ſo ſind auch die, die Einem Autor ſich einverleiben, leibhafte Knechte dieſes Autors, die er
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denen ſich viele und große Dinge finden,
die Jener nicht bemerkt hat. —
„Nichts ſtehet dem Fortkommen der
Wiſſenſchaft ſo ſehr entgegen, als jener
Knechtsdienſt, in der Philoſophie eines An-
dern Gedanken zu paraphraſiren; und eben
dieſe Paraphraſir-Kunſt halte ich fuͤr die
Urſache, warum von den blos-Carteſianern
eben ſo wenig Neues und Ausnehmendes
geleiſtet werde, als von den Ariſtotelikern
geleiſtet worden, nicht aus Mangel des
Genies, ſondern des Sektengeiſts, der Par-
theiſucht halben. Wie naͤmlich unſre Ein-
bildungskraft, wenn ihr Eine Melodie al-
lein vorſchwebt, ſchwerlich und mit Muͤhe
zu einer andern uͤbergeht, wie Der, der
unablaͤßig einer geſchlagenen Straße folgt,
keine neuen Wege entdecken wird: ſo ſind
auch die, die Einem Autor ſich einverleiben,
leibhafte Knechte dieſes Autors, die er
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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 5. Riga, 1795, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet05_1795/202>, abgerufen am 23.07.2024.
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